Leumond
Februar 2004

Geburtstagmorgen


Maxi Klär



Pauline öffnet die Augen. Oh, es ist ja schon hell und es verspricht ein freundlicher Tag zu werden. Dass ich so lange geschlafen habe, ist erstaunlich... Na, sicherlich deshalb, weil ich noch bis spät in die Nacht hinein einen Käsekuchen gebacken und einen guten Kartoffelsalat bereitet habe.
Denn schließlich habe ich heute Geburtstag, meinen 83.!
Obwohl..., es ist ja niemand da, der mit mir feiern kann... die Kinder leben weit weg, der Enkel studiert im Ausland und meine Kaffeekränzchen-Runde ist bis auf Elfriede, die seit Wochen im Krankenhaus liegt, nicht mehr vorhanden...
Die Sonne schickt so freundliche, helle Strahlen weit in mein Zimmer hinein...
wie damals 1920, als allerdings an den Rändern des Fensterkreuzes noch die hübschesten Eisblumen glitzerten, und meine Mutter mir erzählte, dass diese zauberhaften Blumen von der Schneekönigin persönlich zu meinem 5. Geburtstag geschickt wurden ...und dann, als ich in die gute Wohnstube durfte, stand dort ein herrliches, samtbraunes Pferd mit blassblonder Mähne und lud mich zum Schaukeln ein, ein eigenes Schaukelpferd - mein größter Wunsch ging in Erfüllung...!
Und heute, wie würde ich mich freuen, könnte ich nur ein Stündchen in gemütlicher Plauderrunde am Kaffee- und Kuchentisch mit meinen lieben Eltern sitzen ...oder mit den geliebten Kindern, meiner Tochter Traudel und meinem Schwiegersohn Heinz...
Doch die beiden waren, wie viele andere auch, nach der friedlichen Revolution und dem anschließenden Umbruch von der sozialistischen Produktion zur marktwirtschaftlich orientierten arbeitslos geworden, hatten ihre gute Stellung im Kohlekraftwerk verloren und mussten sich neu orientieren. Um wieder Arbeit zu finden, waren sie gezwungen, die Heimatgegend zu verlassen. Nun kellnert Traudel und Heinz hat einen Hausmeisterposten übernommen, in einem kleinen Ort im fernem Baden-Württemberg leben sie jetzt. Fast nie können sie gemeinsam Urlaub machen...
Genug zurück erinnert, ich muss jetzt aufstehen! Im Kopf beginnt so ein bohrender Schmerz und ach, die Beine muss ich erst wieder neu "sortieren", denn seit etwa zehn Jahren verlaufen die ersten Schritte am Morgen wie die eines Roboters der ältesten Generation...
Später zum Frühstück muss ich außer Kaffee noch reichlich Vitamin C zu mir nehmen, um den Kopfschmerz nicht zu einer Migräne entarten zu lassen. Leider habe ich keine Zitrone mehr, die habe ich in dem Kuchen verarbeitet. Aber zwei Blutorangen sind noch vorhanden und ein Apfel...
Äpfel...! Ach was hatten wir früher so reichliche Obsternten, besonders von Äpfeln und Birnen, alte Sorten mit köstlichem Aroma, die auf dem so fruchtbaren Boden unseres riesig großen Gartens heranreiften. Obwohl wir wochenlang täglich Obst einweckten, konnten wir nur einen Bruchteil der Ernte selber verbrauchen. Anfangs brachten wir Äpfel und Birnen mit dem Handwagen zu Bekannten und zum Kinderheim in die Kreisstadt. Es wurden immer mehr Abnehmer. Und dann, als Traudel und Heinz nach jahrelanger Wartezeit endlich den bestellten nagelneuen Trabant erhielten, konnte das Obst zentnerweise dank zusätzlich angebrachter Hängerkuppel und Anhänger per Auto fortgeschafft werden. Die Kinder fuhren um den großen See und hielten in fast allen Ortschaften an, weil dort Kunden auf die köstlichen Äpfel warteten. Dabei wurden natürlich die neuesten Nachrichten ausgetauscht. Wie wurde dann abends am Abendbrot-Tisch oft gelacht oder auch gestaunt, wenn all die Gespräche ausgewertet wurden...! Man brauchte sich gar nicht zu schreiben, es ging so schneller, Neues zu erfahren oder weiterzugeben...
Na und heute wird erst recht nicht mehr geschrieben, ständig und überall wird telefoniert, selbst im Bus oder im Sprechzimmer beim Arzt! Es ist daher kein Wunder, dass Postämter geschlossen werden und immer mehr Briefkästen fortsterben...
Ach, die Sonne schickt immer noch ihre wärmenden Strahlen in meine Stube - sie meint es gut mit mir. Dann feiern wenigsten wir beide zusammen Geburtstag...!
Nanu, hat es eben an der Wohnungstür geklingelt? ...Ja, es klingelt wieder. Mein Herz fängt an zu hüpfen. Ich komme! ich komme! ich kooommmmeee!!!
Pauline öffnet die Tür. Erst sieht sie eine wunderschöne Orchidee mit fünf zauberhaften weißgelben Blüten und dann - das ist doch nicht möglich, mein Enkel Klaus, Kläuschen ist gekommen!!!
Klaus nimmt Oma Pauline in die Arme und drückt sie fest, während dicke Freudentränen über die faltigen Wangen kullern.