Leumond
Februar 2004

Valentinstag


Martina Ernst



Mondlicht fiel durchs Fenster und warf den riesigen Schatten eines Schaukelpferdes an die Indianertapete. Seit dem Umzug verwandelte sich sein Spielzeug in der nächtlichen Dunkelheit zu fremdartigen, lebendigen Wesen. Janosch zog die Bettdecke übers Kinn und drückte Teddy Hugo fester an sich. Die Kirchenkuppel aus der Eisenbahndekoration piekste ihr Schattenkreuz in einen Pferdehintern. Das Pferd erschrak, galoppierte los und ließ an der zweiten Wand seinen Reiter an einem Baum kleben.
Unter der Tür kroch das Flurlicht hervor. Janosch streichelte seinem Teddy tröstend über den wuscheligen Rücken. "Hast Du Miläne?", Janosch überlegte angestrengt, während das Schaukelpferd ein Wigwam zertrampelte und sich Indianer über Stock und Stein hüpfend in einen See retteten. Der Teddy schaute ihn fragend an und begann, sich wegen des grellen Flurlichtes die Knopfaugen zu reiben. "Spürst Du ein Klopfen?" Janosch tippte Hugo vorsichtig an die Stirn. "Als hätte sich ein Baumvogel an deinen Kopf verirrt und würde nicht aufhören, an dir zu picken? So was nennt man Miläneschub, weißt Du?" Janosch fühlte sich jetzt total erwachsen. Er beobachtete das einfallende Mondlicht, ungestüme Schattenreisen eines aufgeregten Indianerpferdes und Schaukelmonsters. Beruhigend flüsterte er Hugo mitfühlende Worte ins Ohr. "Alles halb so schlimm, ist morgen vorbei, musst einfach nur schlafen!" Er legte Hugo auf den Bauch, damit ihn Mond und Flurlicht nicht ärgerten und deckte den Teddy bis über die Kuschelohren zu. Dann krabbelte Janosch aus der Bettdecke, tapste im Schlafanzug auf nackten Füßen zum Lichtbalken vor der Tür, stieß bis dahin gegen einen bunten Stoffball und lauschte in die Stille hinein. Nichts rührte sich, beim Öffnen grummelte die Tür leise eine kurze unverständliche Sprachmelodie. Janosch blieb stehen, fühlte sich ertappt, hielt sich die langgezogenen Schlafanzugärmel vors Gesicht "Ich konnte nicht schlafen", würde er sagen, doch niemand war zu sehen. Die Tür zum Arbeitszimmer war angelehnt. Mit dem nackten Fuß schob er sie Stück für Stück voran, nichts grummelte. "Still, still!", zischte seine innere Stimme. Von seinen Zehen bis zu den Unterschenkeln bewegten sich unsichtbar die winzigen Füße einer fruchtbaren Mäusefamilie im Tausendfüßlermarsch. Sie tippelten zu den Kniekehlen hinauf und plumpsten plötzlich hinunter, als sich Mamas Stuhl bewegte. Janosch versteckte sich so gut er konnte hinter einem mannshohen Benjamin ganz in der Nähe vom Schreibtisch. Als seine Mutter den Drucker anstellte, konnte er einen Blick auf den Bildschirm werfen. Blumenstängel mit Köpfchen in allen Farben und Kombinationen, ein vergrößertes Bild von einem Strauß, in rot, gelb und meerblau mit Ferreroküsschen gebunden, stach ins Auge. Das Geräusch der, sich in Druckposition rückenden, Maschine ließ die Mäusefamilie ihren Marsch unter dem Schlafanzug fortsetzen. Ein Einkaufswagen schleppte den Strauß davon, ein paar Zahlen blieben zurück. Mondlicht kippte von den Tannenspitzen im Garten, spielte mit der pinkfarbenen Orchidee am Fenster. Als sich der Stuhl urplötzlich zurückschob, wich Janosch verschämt wegen seiner Neugierde ein Stück zurück. Er hätte einfach reinstürmen sollen, wie sonst auch, und nicht wie ein Dieb hinter einer dusseligen Pflanze stehen, die mit ihren Blättern unentwegt an der Nase kitzelte.

Es ratterte, Mutter nahm das Papier aus der Druckerablage, knickte es zusammen, stand auf und drehte sich um. Er konnte sich gerade noch vom Benjamin wegbewegen und so tun, als wäre er gerade herein gekommen. In einer Schulaufführung hatte er den Peter Pan gespielt, alle waren begeistert gewesen. Sein Gesichtsausdruck passte sich treuergeben der Situation an. "Ich konnte nicht schlafen!" Er wollte Mutter die Überraschung für Omas Geburtstag nicht verderben. Warum sollte sie sich sonst spät abends durch Blumensträuße wühlen, wo sie doch immer zu sagen pflegte, so etwas sei viel zu teuer. Luxus, alles was teurer ist als fünf Euro ist Luxus. Janoschs Augen schauten sie bettelnd an. Gebongt! Er durfte die Nacht neben ihr im Bett verbringen. Seit dem Umzug war es das erste Mal. "Du bist doch schon groß!", blieb eigenartigerweise verschwunden.

Mama hatte ihm erklärt, dass er Papa Briefe schreiben soll. Nur so könnte er das große Briefkastensterben verhindern und den gelben Kasten an der Straßenecke vor der Ausrottung retten. Janosch war Feuer und Flamme. Mindestens drei mal die Woche schleppte er mit Mama zusammen kunterbunte, gut gefüllte Umschläge mit einer besonderen Briefmarke drauf, meistens Tiere, selten Pflanzen, zum Briefkastenfüttern. Einmal hatten sie sogar den Mann getroffen, der seine "Fracht vom Herzen", so wie Mama es nannte, transportierte. Mutter hatte sich lange mit dem Typen unterhalten, während Janosch zwei Schnecken vor der Fahrradreifengefahr rettete. Auf dem Weg zurück war sie sehr still gewesen, obwohl sie vorher beim Gespräch ständig gelächelt hatte. Er lotste sie noch auf einen Umweg zum Postamt, um sie abzulenken und seinen Briefmarkenvorrat aufzurüsten. Der alte Mann hinterm Schalter begrüßte Janosch, als wäre er ein liebgewonnenes Enkelkind. Die alte Hand schob sich voran durch den Ablagespalt und dann drückten sie verschwörerisch in einem eigenen Takt die Fingerkuppen aufeinander. Die Hand verschwand, wieder bekam er einen Bonbon aus der großen Tüte. Sondermarken mit Tieren und Pflanzen waren aus, es gab nur noch Menschenköpfe und welche mit einem Kohlekraftwerk drauf. Janosch tat so, als falle ihm die Auswahl schwer, hinter ihnen stand die olle Nachbarin, die es hasst, wenn Janosch auf dem Rasen vorm Mietshaus spielt. Nach ausgedehnten Minuten tippte Peter Pan auf das Kohlekraftwerk, Mutter gab ihm das Geld, er gab es weiter und dann ließen sie die überkünstlich laut seufzende Tante an die Reihe.

Den Tag über spielte er am liebsten mit seinem neuen Hunderoboter. Papa hatte ihn geschickt in einem großen Karton mit Bärchenpapier drum herum, obwohl man eigentlich Packpapier nimmt, sagte Mama, denn das dünne Geschenkpapier könnte zu schnell reißen. Gerissen war gar nichts und als die Batterien im Bauch waren, konnte sich das Tier auch bewegen. Der Hundekörper bestand aus zahlreichen Ecken: "Eckige Schnauze, eckige Beine und Füße, eckiger Kopf und Hintern, nur der Schwanz war gebogen und konnte beim Wedeln Halbkreise formen." Janosch zog die Zimmertür zu, damit das "Wuff-Wuff" nicht zu laut in Mamas Arbeitsbereich dröhnte. Seit sie sich von Papa getrennt hatte, saß sie oft am Computer und schrieb zahlreiche Seiten voll, manche lagen zerknüllt in der Ecke, andere dienten Janosch auf der Rückseite als Schmier- oder Malzettel. Nie landeten ihre Seiten in Umschlägen als Briefkastenfutter. Manche die ihr gefielen sammelte sie ungelocht, durchnumeriert in einer Mappe. "Das wird ein Buch", sagte sie, wenn er mal wieder neugierig war, "über Papa und Mama." Janosch konnte sich nicht vorstellen, warum alles auf einem Papier landete und Papa es nicht zu sehen kriegen sollte. Aber wenn es das Buch erst einmal in einem Laden zu kaufen gab, dann durfte Papa es lesen, hatte Mama versprochen, und er glaubte ihr. So war er allein dafür zuständig, das Briefkastensterben aufzuhalten und irgendwie war er auch froh darüber.

Sein Hunderoboter umfuhr gerade auf einem Kippwagen mit Anhänger ausweichend das selbstgebastelte rote Valentinsherz für Mama, als es an der Tür klingelte. Er wollte es ihr beim Mittagessen neben den Teller legen. Sie mochte Herzen so gerne, vielleicht würde er es noch schaffen, vorher den großen Herzluftballon aufzublasen, den Papa in einem Geheimbrief im Geschenkkarton mit dem lustigen Bärchenpapier deponiert hatte. Unbemerkt von Mama war der Luftballon in seinem Nachttisch gelandet. Hugo schob Wache und machte das trotz seiner Miläne echt gut. Janosch ließ den Kippwagen stehen und ging auf den Flur. Mamas Kopf war im Blumenstrauß verschwunden. Ihre langen, schwarzen Haare verdeckten die Blütenpracht. Als sie aufschaute, war ihr Gesicht nass und Tränen liefen herunter. Erschrocken rannte er zu ihr, drückte sie fest an sich. Zwischen den gelben, roten und blauen Blüten blitzten eingewickelte Schokonusspralinen hervor. In der Mitte steckte eine Karte. Sie las laut den Text, Peter Pan hörte zu. "Komm wieder zurück! Ich liebe nur Dich! Verzeih mir!" Janosch schaute sie an, wie sie ihr Gesicht am Ärmel abwischte, die Blumen unbeachtet auf der Kommode neben dem Autoschlüssel ablegte und das Telefon mit in die Küche nahm. Janosch folgte ihr, sah wie sie noch ein aufmunterndes Stückchen von der aufgeschnittenen, bitteren Blutorange löffelte, genüsslich aß und ihm dabei zunickte. Solidarisch schnappte er sich den zweiten Löffel, angelte aus der Aushöhlung so wenig Fruchtfleisch und Saft wie möglich und schon waren sie wieder ein Team.
Der Telefonhörer begann wie von selbst in ihren Händen zu arbeiten. Erst Freizeichen dann Klicken und Tuten bis er sich meldete, überrascht ihre Stimme hörte. "Kommst Du vorbei?" Er fragte nicht nach, ließ sich schlauerweise nicht zweimal bitten. Es dauerte nur so lange, bis Janosch den Herzluftballon aufgeblasen, um den Knoten ein rotes Geschenkband gefummelt hatte und mit dem Herz und Hugo in die Küche stolzierte. "Das mit dem Blumenstrauß müssen wir ihm erklären, keine Frage!" Da fiel Peter Pan der Mann zuständig für die Fracht vom Herzen ein. Janosch suchte die Blumenkarte, zerknüllte sie kurz vorm Abfalleimer. Mama zerschnitt weißen Karton, schrieb einen neuen Text. Papa klingelte an der Tür. Er wusste nicht, dass er es mit Mama, ihrem neuen Freund, Hugo, seinem Sohn und Peter Pan zu tun hatte. Schließlich hatte er damals wegen seiner "Taube" die Schulaufführung geschwänzt.

Entstanden ist die Geschichte, weil ich unbedingt auch als Single zum Valentinstag etwas geschenkt haben wollte. Bei einem Blumengewinnspiel im Internet trug ich meinen Kumpel als Absender ein und als Lieferadresse meine eigene. Den Blumenstrauß mit Kronkorkenlosen hat am Ende sonst jemand gewonnen. In abgeänderter Form ist das Ganze im "Valentinstag" gelandet, deshalb habe ich beim Schreiben auch viel Spaß gehabt. Mein Kumpel und ich können heute noch darüber lachen. Ich widme "Valentinstag" allen Singles, egal ob männlich oder weiblich, die sich zum 14.02., oder einem anderen Tag, selbst etwas Schönes gönnen.


Ich liebe es, durchs Schreiben zu lernen, bin manchmal überrascht, wie sich Geschichten entwickeln, hätte liebend gerne ein Stipendium, um mehr Zeit zum Schreiben zu bekommen, weil noch so viele Ideen in mir schlummern.
Ich bin 35 Jahre jung, reiselustig, würde gerne mit Pferd und Hund auf den Seychellen vom Schreiben leben, jeden Tag im Splash-Cafe einen Passionmilchshake trinken und auf dem Markt nach Obst stöbern. Manchmal bin ich etwas schreibfaul und ärgere mich darüber, dass die Geschichte sich nicht alleine aus den zwei Worten im Notizheft entwickelt.
Meinen Job als Masseurin finde ich sehr Kräfte-zehrend und für die nächsten Jahre als Ernährungsquelle nicht gerade ideal, Tiermasseurin wäre eine knochenschonende Alternative. Gerne würde ich mich aktiv für Tiere und deren Schutz einsetzen. Mein Hund "Happy" stammt aus Mauritius und soll noch als wahre Geschichte im Taschenbuch landen.
Im Mai werde ich einen Italienischkurs besuchen und hoffentlich bald nach Italien reisen. Ich suche ständig nach neuen Herausforderungen und witzigen Begebenheiten im Alltag, wobei ich manchmal Fettnäpfchen nicht ausweichen und darüber herzlich lachen kann.