Leumond
Februar 2004

Eine Geschichte


Anne B.



Lena kam in ihr Zimmer und öffnete ihr Fenster, da die Luft im Zimmer etwas stickig war und ihr das schnell Migräne verschaffte. Es war Nachmittag, aber es wurde schon dunkel. Lena hatte aus ihrem Zimmerfenster einen guten Blick zur Stadt 'runter, da ihr Zimmer im Dachgeschoss war - in einer Art Kuppel. Sie schaute auf die Straße, die vor ihrem Haus verlief. Ihr stach sofort ein großer blutiger Matschhaufen ins Auge. Wahrscheinlich wurde wieder ein Hase aus dem nicht weit entfernten Wald umgefahren. Es kann nicht einmal so lange her sein, da der blutige Kadaver von dem Kaninchen wohl noch dampfte. Aber Lena dachte sich nur kurz "Was soll's; die Viecher gibt's wie Sand am Meer. So etwas passiert hier fast jeden Tag; die Teile sind nun mal sehr fruchtbar und willig..."
Als sie ihren Blick vom dampfenden Kaninchenkadaver losriss, setzte sie sich an ihren PC und ließ ihn hochfahren. Sie dachte schon den ganzen Tag daran, dass sie doch mal wieder eine Geschichte schreiben könnte. Aber dann kam ihr in den Kopf "Warum!?" Hm... ob sich das viele denken die vor haben - oder hatten - eine Geschichte zu schreiben... Aber diesen Gedanken schüttelte sie gleich wieder ab. Sie hatte sich wieder dabei erwischt zuviel nachzudenken. Das fing langsam an sie zu nerven.
"Warum schreiben die Leute eigentlich Geschichten... Vielleicht, weil ihnen langweilig ist wie dir grade!?", dachte Lena. Das wird wohl einer der Hauptgründe sein. Dann musste sie daran denken, wie sie auf dieses "eine Geschichte schreiben" gekommen ist... Haha... wieder eingefallen. Sie war im Internet und per Zufall auf eine Seite gestoßen, die dazu aufgerufen hat eine Geschichte zu schreiben. Tja, dachte sich Lena, das is' doch mal ne Idee. Schade nur, dass sie nicht spontan ist, dann wirkt immer alles so künstlich. Oder man versucht irgendeinen Blödsinn zusammenzureimen, der nicht mal so etwas wie Sinn und Verstand hat. Zum Beispiel eine Geschichte über einen Roboter ihm Jahre 2050, der in einem Kohlekraftwerk arbeitet und diesen Job über alles hasst, da er langsam anfängt menschliche Züge anzunehmen und auch irgendwann heiraten möchte, um kleine Kinderroboter auf die Welt zu bringen und dann mit der ganzen Familie auf einen roboterfreundlichen Spielplatz gehen, wo die Roboterkinder auch auf lustigen Schaukelpferden wippen können. Und später werden die Kinderroboter - wenn sie groß sind - in einem Kohlekraftwerk arbeiten damit sie den Teufelskreis vom Vaterroboter weiterführen können. Ja, ja... So ein Blödsinn würde dann wahrscheinlich 'rauskommen.
Man sollte eine Geschichte nicht erzwingen. Vielleicht sollte sie die Geschichte doch lieber ein anderes mal schreiben - diese ominöse Geschichte; diese glorreiche Geschichte, die nach einer Verfilmung schreien wird...
Dann stand Lena wieder von ihrem Schreibtischstuhl auf und ging in den unteren Hausflur. Komischerweise war alles ruhig. Keine Menschenseele war zu sehen oder zu hören. Sonst ist das ganze Haus ziemlich laut. Lena ging in die Küche, wo auch keiner war. Sie schaute in den Kühlschrank und nahm sich die angebrochene Blutorangen-Saftflasche heraus, und einen Becher von der Spüle. Sie schaute auf den Küchentisch, auf dem eine kleine, schmale Vase mit einer Orchidee stand. Die bewegte sich im Wind, der durch das offene Küchenfenster kam. Die Stille ließ Lena in einen hypnotisierenden Zustand geraten, der dann aber von ihrer Mutter wie das Schnippen mit den Fingern durchbrochen wurde. Sie kam in die Küche mit Papiertüten vom Einkaufen auf dem Arm. Lena nahm ihr eine Tüte ab und ein Brief für eine Bekannte der Familie fiel 'raus. Lena fragte, was der in der Tüte soll,
und die Mutter fing an sich aufzuregen und irgendwas von "Briefkästen" und "keiner da..." zu quatschen. Wahrscheinlich war das Briefkastensterben gemeint. Aber ihre Mutter hatte schon recht. In der kleinen Stadt wurden die Briefkästen immer seltener. Das gab Lena einen Geistesblitz. Sie ging hoch in ihr Zimmer und setzte sich wieder an ihren PC. Sie bräuchte gar keine Geschichte schreiben
bei der überhaupt nichts rauskommen würde - zum Beispiel über irgendeine Person die gar keinen Hintergrund hat und über total unwichtigen Kram nachdenkt und sogar im Kopf quasi Personengespalten in ihrem Hirn mit den Gedanken zu kämpfen versucht...
Und da jemand, der diese Geschichte dann noch gelesen haben sollte, sich denkt: "Mein Gott, in der Zeit, die ich jetzt für diese s***** Geschichte vergeudet habe, hätte ich eine wesentlich bessere Geschichte schreiben können", fing Lena an, einen Beschwerdebrief an die Stadt zu schreiben, um über das erneute und immer wieder vorkommende Briefkastensterben aufmerksam zu machen.

Tja, so kann's gehen...