Leumond
Dezember 2004

Weihnachtsgeschichte (2015)


Thilo Bachmann



Es ist der Heilige Abend im Jahre 2015. Friedrich Stein wohnt mit seiner um 10 Jahre jüngeren Frau Hildegard in einem Reihenhaus in der Nähe von Fuschl. Das Wetter ist föhnig, etwa 16 Grad, der Himmel bedeckt. Friedrich und Hildegard haben wie immer gemeinsam ihren Christbaum behängt (eine lebende Tanne steht zufrieden in ihrem Topf ) und halten noch immer daran fest, für die Beleuchtung des Baumes Wachskerzen zu benützen. Hildegard sagt fast streng: „Daß du mir ja nicht das Badezimmer betrittst. Fritz“. „Es ist erst 3 Uhr nachmittags. Ich muss unbedingt Luft schnappen; begleitest du mich, Hildegard?“ lässt er sich von der Tür vernehmen. „Jetzt nicht, später; wir treffen einander in einer Stunde vor der Kirche.“ antwortet sie. Er nickt, streicht seiner Frau behutsam über ihr dunkelblondes Haar und verlässt die Wohnung. Er schlendert den nahen Feldweg entlang bis zum nahen Mischwäldchen. Friedrich sieht man seine 52 Jahre nicht an. Fast völlige Windstille umgibt ihn, ab und zu ein Knacken im Gehölz. 'Wann hat es hier das letzte Mal geschneit? Voriges Jahr zwei Tage und das schon seit mehr als 15 Jahren, eine sonderbare Zeit' sagt er zu sich. Nicht einmal ein Krähenlaut ist zu hören. Er dreht sich um und wandert zur Kirche. Dort angelangt hört er die Schritte seiner Frau. Ein paar Nadel- und Laubbäume umsäumen den kleinen Friedhof. Das Ehepaar betritt das von 2 stattlichen Fichten vorne beleuchtete Gotteshaus. Ein altes Mütterchen kniet betend in einer der Bänke. Auf der Orgel spielt jemand „Es ist ein Ros' entsprungen“ und dann die Passacaglia von Johann Sebastian Bach. Hildegard lässt sich kniend vor der von Kerzen beleuchteten Marienstatue nieder und sieht sich schweigend um. Ihr Mann kniet, obwohl evangelisch, ebenfalls vor der Marienfigur; Hildegard und Fritz hören ehrfurchtsvoll der beeindruckenden Musik zu. Als sie keine Musik mehr hören, faltet Hildegard die Hände zum Gebet. Fritz' Gedanken schweifen in andere Richtungen.
Seine Frau hat ausgebetet, bekreuzigt sich; Fritz unterlässt es; beide erheben sich und verlassen die Kirche.
Durch den leisen Wind bewegen sich die Bäume vor dem Friedhof, sie neigen ihre Wipfel, als wollten sie das Paar grüßen. „Mich baut das seelisch auf, wenn ich an die heilige Maria denke, sie um den Weltfrieden bitte und für die hungernde, dritte Welt (Indien, Abessinien, Bangladesch etc.) bete“, fängt sie zu sprechen an, während sie ihre Schritte zur Wohnung lenken. „Das kann ich von mir nicht behaupten. Als Junge habe ich viel gebetet, aber kein Gebet wurde erhört und in schwierigen Lagen war ich auf mich selbst gestellt. So habe ich mir das Beten abgewöhnt. Es geht auch so. Außerdem hast du vergessen, dass die Kluft zwischen dem Islam und dem Christentum nach wie vor groß ist, der Staat Israel und Palästina werden sich nie vertragen. Wir feiern hier die Geburt Christie, in Äthiopien, im Sudan sterben Kleinkinder an Unterernährung, Cholera,“ erwidert er verständnislos. Sie haben ihre Wohnung erreicht, essen in der Küche wie immer Fischsuppe und später gemischten Salat. Hildegard antwortet: „Du hast recht, die Menschen ändern sich nicht. Ich zünde jetzt die Kerzen an, wenn unsere Weihnachtsglocke ertönt, kommst du ins Wohnzimmer“, und gibt ihm einen Kuß. Er setzt sich in der Küche auf einen Sessel, da erklingt die Glocke. Friedrich betritt das geräumige Zimmer, sieht den beleuchteten, mit Süßigkeiten behängten Baum und die wohlgeordnete Krippe darunter. Dann traut er seinen Augen nicht; in einem Korb unter dem Christbaum sitzt ein winziger Schäferhund, ihn verwundert anblickend. „Das ist allerdings eine große Überraschung“, meint er sich ihm freudig nähernd; er nimmt ihn in seine Arme und setzt fort: „Axel soll er heißen; machst du die zwei Packerln auf!“
Ein Ruf des Ruf des Entzückens von Seiten der Frau: „Meine Lieblingsbücher Erich Fried und Knut Hamsun“, sie liegen sich in den Armen. „Zufrieden?“ fragt Hildegard.
Friedrich sieht sie ernst und zärtlich an, dann murmelt er fast leise: „Nicht ganz, der eine Hirte vor der Krippe gehört weiter nach vorne versetzt und was ist mit den Menschen, für die es nie ein Weihnachten der Freude und der Wärme geben wird?“ Hildegard kann nichts dazu sagen.

Die Weihnachtsgeschichte entstand vor ungefähr fünf Jahren und ist natürlich erfunden, allerdings habe ich einen Bezug zum Fuschlsee, an dem ich öfter Urlaub gemacht habe und der von viel Natur umgeben ist.


Thilo schreibt außer den hier aufgeführten Geschichten gerne Kurzkrimis, Weihnachtsgeschichten, Gedichte und Essays. Zudem ist er Hobbypianist. Seine Lieblingsautoren sind: Dostojewsky und Gustav Freytag