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Harald Stangor
Mein Sohn war zu der Zeit in einem schwierigen Alter, was an sich nicht weiter bemerkenswert ist, weil er in meinen Augen mit der Geburt angefangen hatte, in einem schwierigen Alter zu sein - höchstwahrscheinlich noch früher, aber ich kann das kaum beurteilen, da steckt man als Mann ja nicht so drin. Nun hatte er eine besonders kuriose Einrichtung der Erwachsenenwelt entdeckt, und er neigte dazu, mit einer gewissen Hartnäckigkeit unerklärbare Dinge zu erfragen, und das in der Regel von mir; er hielt mich für ausgesprochen klug, obwohl ich wirklich nichts tat, was dieses Vertrauen rechtfertigen würde - er hing irgendwie an dem Gedanken, ich sei ein ganz besonders besonderer Mensch, und bewunderte mich, und ich ließ ihn, wo möglich, in dem Glauben, aus familiären Gründen.
Daddy, pflegte er zu sagen - und ich weiß nicht, warum er das tat, ich hatte ihn nicht zu der Anrede ermutigt, und von allein sprechen Kinder in unserm Viertel eigentlich kein Englisch; vielleicht ist das irgendwie genetisch, meine Frau hat einen ausgewanderten Onkel... andererseits sagte der Kleine ja nicht Daddy zu ihr, und väterlicherseits war da nichts Englisches, ich hab nur 'ne Schwester, die in Schottland verheiratet ist, aber das Kind hat nicht den geringsten Akzent - Daddy also, was machstn da mitter Uhr?
Ich stelle sie, mein Sohn, ich stelle sie.
Warum machstn das?
Damit sie richtig geht.
Daddy?
Hmm?
Die Uhr geht richtig.
Ja.
Und du stellst sie?
Ja.
Wohin?
Was?
Nun erklären Sie einmal einem Kind, noch dazu diesem, was geschieht, wenn mutwillig alle Uhren eine Stunde vorgestellt werden. Steht das Kind morgens früher auf oder um die gleiche Zeit oder geht es später ins Bett, und wenn ja, darf es das? Kann man das irgendwie nutzen, um länger fernsehen zu dürfen? Woher wissen die Leute, die das mit der Zeit regeln, wann es eine Stunde später ist? Und vor allem: was passiert mit der gesparten Stunde? Wo kommt die hin, wo bleibt die? Mit Logik ist da ja nun nichts zu machen, und man kann ja auch nicht immer nur sagen: Frag Mami, obwohl ich das prinzipiell für eine ganz brauchbare Taktik halte.
Ich versuchte also, ihm die Sache so einfach wie möglich zu erklären, und machte ihm das mit den Außerirdischen klar, die irgendwann im Frühjahr die Erde überfallen und uns die Zeit rauben, dass aber die Terraristen-Polizei ihnen einen mächtigen Kampf liefert und die ganze Zeit wiederbekommt, bis auf eine Stunde, diese eine Stunde ist für alle Zeit verloren, aber die Wissenschaftler trauern nicht lange und versuchen, die Zeit wieder zusammenzuflicken, und ein halbes Jahr später ist das geschafft, da wird dann so ein Klon, so ein künstliches Double der gefallenen Stunde eingesetzt, und alle rücken ein Stück auf, und alles ist wieder im Lot.
Ich fand, das war eine ausgesprochen plausible Erklärung, aber der Junge war trotzdem nicht zufrieden. Warum, war die nächste Frage, fallen die jedes Jahr genau auf den gleichen Überraschungsangriff rein, immer zur gleichen Zeit, da kann man sich doch vorbereiten. Ich fühlte mich etwas in die Ecke gedrängt und lachte ihn vorsorglich aus, natürlich sei das nur einmal passiert, vor ein paar Jahren, lange vor seiner Zeit, und zum Gedenken feiert man noch immer jedes Jahr die Sommerzeit. Inzwischen läuft das so, dass eine besonders mutige Stunde auf der Zeitbank eingefroren wird und zum Herbst aufgetaut. Da gibt's dann auch immer ein großes Fest, und alle bleiben länger auf, und jetzt ist es Zeit, ins Bett zu gehen.
Die Zeitbank, sagte mein Sprössling nach längerem Überlegen und schon im Schlafanzug, müsse tolle Zinsen haben, sonst könnte man sich von den paar gesparten Stunden doch nicht, wie dieses Jahr, 'n ganzen zusätzlichen Tag leisten.
Ich hasse altkluge Kinder... und wenn ich rauskriege, von wem der Junge diese blühende Phantasie hat - dem werde ich aber auch noch einen erzählen.
Harald Stangor geht einem höchst bürgerlichen Beruf nach und dilettiert in freien Minuten in Prosa, Lyrik und Drama, mit besonderer Vorliebe auf Kabarettbühnen.