Leumond
Oktober 2004

Wie ein Alltag eines Polizisten im Innendienst aussehen kann


Thilo Bachmann



Polizisten geraten ab und zu in Lagen, wo sie nicht nach den Vorschriften handeln, sondern nach eigenem Gutdünken entscheiden müssen. ( Also stell ich mir m i c h für kurze Zeit als Polizist vor.
Im Kommissariat. Es ist 9 Uhr vormittags.
Gelangweilt sitze ich mit ein paar Kollegen im Büro, vor mir zwei moderne Telephonapparate und ich trinke die zweite Tasse Cafe. Seit 7 Uhr 30 kein Anruf, keine Abgängigkeits-oder Diebstahlsanzeigen. Der Chef kommt erst um 11 Uhr (Hauptkommissar Montag). Ein paar Ausländer kommen herein und wollen Formulare. Ich deute auf die Tür zum Fremdenpolizeizimmer. Das Telephon läutet, ich hebe ab. Eine näselnde Stimme fragt: „Ist hier die Polizei? Ich weiß nicht ob ich die richtige Nummer gewählt habe.“
Ich sage gedehnt: „Aber sicher, um was geht es denn?“ Ein Keuchen am anderen Ende, dann höre ich wieder ihre Stimme, sie scheint weiblich zu sein, man kann aber nie wissen.
„Ich habe Angst, große Angst. Wenn ich meine Wohnung verlasse verfolgt mich jemand.“
Ich horche auf, bin aber noch immer gelangweilt und antworte: „Gnädige Frau, haben Sie diese Person gesehen? Ist sie männlich oder weiblich?
Die Stimme am anderen Ende sagt: „Ich glaube, es ist ein Mann, ich bin noch jung, ich fürchte mich so morgens, wenn ich auf die Straße gehe und abends, wenn ich nachhause will, es schleicht mir jemand nach.“
Ich frage noch einmal: „Ist es ein Mann oder eine Frau? Ist es wirklich ein Mann ihrer Meinung nach?“ Die Stimme am Apparat meldet sich wieder: „Ich fürchte mich, ich brauche Ihre Hilfe, mein Herr. Ich fühle mich verfolgt.“ Ich sage ungeduldig: „Wollen Sie Polizeischutz beantragen? Wie heißen Sie überhaupt und wo wohnen Sie?“
Sie antwortet: „Ich brauche Schutz, immer verfolgt er mich. Er ist viel älter und stärker als ich. Ich fühle mich so ausgeliefert. Ich heiße Ingeborg Humperdink und wohne in der Seitenstättengasse. Können Sie etwas für mich tun?“
Ich erwidere schwerfällig: „Das kann ich noch nicht sagen, mein Chef, Herr Montag ist noch nicht da. Angst haben viele Menschen, auch ich manchmal. Wie wäre es mit einem Selbstverteidigungskurs? Heute sind doch die Frauen nicht mehr das schwache Geschlecht, es gibt genug Frauen, die es mit einem Mann jederzeit aufnehmen und kein Unterlegenheitsgefühl dem anderen Geschlecht gegenüber haben. Ich werde versuchen, was ich für Sie tun kann. Rufen Sie am Abend wieder an, versprechen kann ich aber nichts. Schließlich ist noch kein Verbrechen geschehen, oder? Also befolgen Sie meinen Rat.“
Die Stimme am anderen Ende lässt sich weiter vernehmen: „Aber es kann eines werden. Vielleicht werde ich doch einen Verteidigungskurs machen, aber Angst habe ich trotzdem. Gut, aber wenn der Mann mich morgen wieder verfolgt, muß ich mich wieder an Sie wenden. Und wie heißen Sie?“
Aber ich habe bereits den Hörer aufgelegt. Ich werde zwar dem Chef Bericht erstatten, aber die Sache verläuft sicher im Sande. Wir können nicht jedem, der Angstzustände hat und sich verfolgt fühlt einen Leibwächter beigeben. Für nicht begangene Verbrechen sind wir nicht zuständig.

Der Komissariatstext ist erfunden. Ich habe ihn verfasst, weil die Sprache dort in der Regel rauh ist, von Ausnahmen abgesehen. Wer sich dorthin begibt, muss als Fremder zuerst einmal mit Mißtrauen und Voreingenommenheit rechnen. Es gibt dort ungehobelte und freundliche Polizisten.


Thilo schreibt außer den hier aufgeführten Geschichten gerne Kurzkrimis, Weihnachtsgeschichten, Gedichte und Essays. Zudem ist er Hobbypianist. Seine Lieblingsautoren sind: Dostojewsky und Gustav Freytag