Leumond
Juli 2004

Gewissenlose Taten I


Mathies Gräske



Ich bin zwar nicht so übermütig geworden, wie ich einst geplant hatte, aber ich habe vor kurzem mit einigen Gemeinheiten mein neues, bösartiges Leben gefeiert.
Wen stört es schon, ob ich ein netter kleiner Junge ohne Zukunft bin oder ein übellauniger Idiot - Die Hauptsache ist, dass ich meinen Frust los werde und anderen schaden kann.
In diesem Sinne habe ich ein kleines Experiment gestartet. Vor einer Woche begann ich, ein paar Obdachlose in der Stadt zu beobachten. Mir fiel bald auf, dass an einer bestimmten Stelle, in der Nähe der größten Einkaufmeile, zwei Männer ihren "Dienst" taten und mit einem Hut die vorbeilaufenden Passanten um ein paar Cent baten.
Unschuldig und jung wie ich aussehe habe ich begonnen, mich mit den beiden von Zeit zu Zeit zu unterhalten. Oftmals hatten sie viel zu erzählen und berichteten auch gerne voneinander. Offensichtlich hatten beide schwere Zeiten durchgemacht und sich immer gegenseitig aus dem Sumpf der Verzweiflung gerettet. Es waren also zwei Freunde, die sich dort tagtäglich abwechselten und gut miteinander auskamen.
Nach drei Tagen war ich für erste Schandtaten bereit. Ich schenkte dem ersten, Hans, eine Flasche. Auch der Freund Jens bekam ein Flasche besten Schnaps' von mir geschenkt. Beide freuten sich und gelobten, sie mit dem jeweils anderen zu teilen. Am Tag darauf wiederholte ich meine Tat und schenkte beiden eine Flasche alkoholreichen Inhalts.
Doch am dritten Tag schenkte ich beiden nichts. Ich sagte aber Jens, dass ich Hans 30 Euro in die Hand gegeben hätte. Ich log, dass ich ihm gesagt hätte, dass er sie mit Bedacht und auch im Sinne seines Freundes ausgeben soll. Jens schaute verwundert drein und meinte: "Davon weiß ich nichts... Hat Hans mir etwa etwas verheimlicht? Ich werde ihn fragen gehen. 30 Euro sind ja schon 'ne Menge Geld."
"Ganz recht!", meinte ich und schaute ihm nach, wie er ging.
Am nächsten Tag ging ich wieder zu den beiden. Ich kam genau in dem Moiment, als der zweite den ersten ablösen sollte. Eilig kam Hans auf mich zu: "Sag mal, Bürschen, hast du wirklich erzählt, dass du mir 30 Euro gegeben hast?"
Eiskalt erwiderte ich: "Natürlich habe ich das. Und auch wenn es nicht stimmt - Es macht mir wahnsinnig Spaß, euch reinzulegen."
Langsam wurde Hans rot. Aber dennoch schien er zu überrascht, um sofort handgreiflich zu werden. Und dann kam Jens und wollte klärend eingreifen: "Hans, lass das. Erst das Geld nehmen und dann noch die Schuld bei unserem kleinen Gönner suchen!"
"Genau!" bestätigte ich. Hans war nun hin- und hergerissen. Einerseits wollte er mich unheimlich gern verprügeln, andererseits musste Jens überzeugt werden, dass ich ein kleiner Betrüger bin.
"Jens! Hör mir mal zu! Der kleine Bursche hat uns gelinkt. Er will nur unsere Freundschaft gefährden, indem er dich belügt. Ich habe nie 30 Euro von ihm erhalten!"
Das war mein Stichwort. Mit ungeahnter Präzision steckte ich unauffällig 30 Euro in eine Jackentasche von Hans und schaute danach ganz unschuldig in Jens Richtung, der offensichtlich nichts bemerkt hatte. Auch Hans war meine Bewegung entgangen. Scheinbar schlichtend schlug ich nun vor, dass man nun ganz einfach prüfen könnte, ob Hans das angesprochene Geld noch habe. Wenn er das Geld noch in der Tasche hätte, sei der Fall klar.
Hans ließ gerne mit sich reden, denn er war von seiner Unschuld überzeugt. "Tja Hans", flüsterte ich ihm zu, "das hättest du vielleicht nicht tun sollen."
Augenblicklich lief Hans noch mehr an. "Du kleiner §)(/§"=%$/!"
Trotzdem musste er sich von Jens untersuchen lassen. Wie erwartet fand dieser das Geld und schaute Hans bitterböse an. Dann wandte er sich zu mir, lächelte dankbar, und dankte mir für mein "Ehrlichkeit".
Wieder zu Hans gerichtet sagte er: "Ich bin enttäuscht. So lange haben wir uns beigestanden, sind durch dick und dünn gegangen und nun wirst du gierig und teilst nicht mehr mit mir. Außerdem bezichtigst du diesen netten, aufrichtigen Jungen der Lüge! Du solltest dich schämen!"
"Aber Jens! Der Junge ist so falsch wie eine Schlange! Warum sollte ich..."
"Ach hör doch auf! Du machst es nur noch schlimmer. Von jetzt an kannst du alleine dein Geld zusammenkratzen. Ich suche mir ein paar echte Freunde!"
Mit diesen Worten ging Jens extrem enttäuscht davon, um von nun an in einem anderen Stadtteil um betteln. Ich ging gemütlich nach Hause. Hans hatte eingesehen, dass er nichts tun konnte. Sicherlich hätte er mich schlagen wollen, aber in der Öffentlichkeit ist so ein Verhalten eher kontraproduktiv - besonders bei einem Kind.
Seit diesem Tag scheint beiden ihr Lachen verloren gegangen zu sein. Vielleicht werden sie sich eines Tages wiedersehen und sich versöhnen, aber letztlich ist mein Ziel erreicht und das Experiment geglückt.

Und die Welt ruft nach weiteren Taten...

Mathies, hauptberuflich als Programmierer tätig, wohnt seit ein paar Jahren mit seiner Lebensgefährtin in Bremen, werkelt regelmäßig am Leumond und verfasst von Zeit zu Zeit Texte.