Vielleicht eine Zote.
(Eine Kurzgeschichte in ebensolchen Sätzen)
Wolfgang Nöckler
A betritt die Bank. Sieht sich um, keiner beachtet ihn. Dann geht er wieder, scheinbar ohne etwas getan zu haben. Er hat etwas getan. Er hat sich vorbereitet. Die Bühne ausgekundschaftet, wenn man so will, sich das Szenenbild, die Requisiten, die Mitspieler angeschaut.
A ist Schauspieler. A hat seit langer Zeit kein Engagement mehr bekommen, trotzdem ist und bleibt er seinem Beruf verhaftet. Er hält ihn für seine Berufung und glaubt fest daran, dass man im Spielen die Erlösung finden kann. Man kann das wahrscheinlich auch, trotzdem stellt sich die Frage, wer die Erlösung findet. Ist A es? Oder doch die Person, die er spielt?
A betritt die Bank. Erste Szene. In seiner Hand ein Gewehr, auf seinem Kopf ein Strumpf. Keine Zeit für Maske, keine Leute da, die das übernehmen würden. Egal. Dann eben ein Stegreifauftritt. Gute Schauspieler haben kein Problem mit Improvisation, ob es nun eine Szene betrifft oder eben die Vorbereitungen.
A hält sich für einen guten Schauspieler. Wahrscheinlich ist er das auch. Ob er merkt, dass er ganz in seiner Rolle aufgeht? Identifikation mit dem Charakter mag das Endziel jeder Produktion sein, doch wenn die Rolle auch im wirklichen Leben manifest wird - was dann?
A schreit "Stimmprobe eins zwei eins zwei Hände hoch!". Alle Anwesenden reissen die Arme nach oben. 'Das klappt ja wunderbar', denkt A, 'alles gute Schauspieler, zumindest ihr Stichwort haben sie fest im Griff'. 'Der ist verrückt', denken die Anwesenden, 'besser wir tun, was er sagt'.
A hat das ganze Stück im Kopf. Er weiss, wie alles ablaufen soll. A ist auch der Regisseur dieses Stückes. Ein Regisseur gibt Anweisungen, aber ein schauspielender Regisseur darf nicht aus der Rolle fallen. Das hat A bedacht. A hält sich für genial, weil er das bedacht hat. A hat auch die Dialoge geschrieben, zumindest seine eigenen. A gibt also Regieanweisungen, geschickt verpackt in seinem Dialog. "Ihr da hinter den Schaltern, keine Bewegung, ihr hier vorne - hinlegen!"
A hat sich für spartanische Äusserungen entschieden. Das ist besser, damit es keine unnötigen Rückfragen gibt. Der Spielfluss soll ja nicht leiden. Alles soll möglichst authentisch sein.
A beobachtet, wie seinen Anweisungen Folge geleistet wird. A ist zufrieden. Als Regisseur ist er genial, denkt er. Er geht zu den Schaltern und fordert die Kassierer auf, alles Geld in eine Tüte zu packen. "Welche Tüte?" fragt einer der Kassierer. A wird böse. Das hat er nicht bedacht. "Immer diese Probleme mit den scheiss Requisiten!" schreit er. Doch sofort fasst er sich. "Bloss nicht aus der Rolle fallen", ermahnt er sich selbst.
A weist auf den Papierkorb. Darin steckt ein schwarzer Müllsack. "Da rein", meint er und hält seine Improvisationsgabe für gottgegeben. Der Kassierer tut, was er sagt. Er hält A für verrückt und will ihn nicht reizen. "Bei einem Verrückten weiss man nie, ob er nicht einfach so wild um sich schiesst, plötzlich Amok läuft, weil etwas nicht so funktioniert, wie er das möchte", denkt er, aber er sagt nichts. Natürlich nicht. Aber er drückt unbemerkt den Alarmknopf unter seinem Schalter. Seine Angst verschwindet damit aber nicht.
A ist zufrieden. Er sieht eine Menge Geldscheine, die allesamt in eine Tüte wandern... seine Tüte. Plötzlich kommt ihm ein Gedanke. "Sind das bestimmt echte Scheine?" will er vom Kassierer wissen "Nicht, dass der Bühnenbildner sich bei der Vorbereitung alles unter den Nagel gerissen hat!" Der Kassierer ist verwirrt. "Natürlich sind die Scheine echt", sagt er. Was er sonst noch denkt sagt er nicht.
A ist beruhigt. Nun kann nichts mehr schief gehen, denn sein Stück ist perfekt. Er nimmt den geldgefüllten Müllsack an sich und geht rückwärts Richtung Tür. 'Moment', denkt er dann. "Moment", sagt er. Alle werden hellhörig und denken `was er wohl noch will, dieser Verrückte?´ "Was ist?" fragt A. Keiner antwortet. Keiner weiss, was A hören will. A möchte Applaus hören. Damit er sich verneigen kann; eigentlich klar, nicht?
A sieht nicht, wie hinter ihm langsam die Türe aufgeht. Einige Polizisten kommen in die Bank und richten die Waffen auf ihn. "Lassen Sie die Waffe fallen!" schreit einer, nachdem alle in Position sind. A dreht sich um. "Das ist nicht vorgesehen - Auftritt der Polizei erst nach meinem Abgang, verdammt! Sehen Sie nicht, dass ich noch spiele?" sagt A. Er ist ratlos. "Lassen Sie die Scherze, Sie sind verhaftet", sagt wieder der Polizist in der Sprechrolle. `Gut´ denkt A, `wieso nicht wieder etwas improvisieren?´. Er lässt die Waffe fallen.
A steht vor dem Richter. Bereitwillig hat er alle Szenen mitgemacht, aber jetzt hängt ihm das Stück zum Hals raus. Er beschliesst also, das Rätsel zu lösen. "Ich bin natürlich nicht schuldig", sagt er, "denn ich habe die Bank ja nicht wirklich überfallen. Ich bin Schauspieler und habe alles nur gespielt. Nun möchte ich dieses Schauspiel aber beenden und wieder in meine wahre Identität zurückkehren. Es ist einfach zu anstrengend, immer diesen Bösewicht zu spielen. In Wirklichkeit bin ich nicht so... Aber Sie müssen zugeben, dass ich kein schlechter Charakterdarsteller bin, oder?" Der Richter hat schon viele Ausreden gehört. So eine ist ihm trotzdem noch nie untergekommen.
A ist Schauspieler. Endlich hat er die Rolle seines Lebens gefunden. Der Richter war nicht sehr angetan von seinen Erklärungen und meinte "Auch ich bin Schauspieler, wissen Sie, ich spiele hier den Richter. Und hiermit verurteile ich Sie dazu, den Insassen einer psychiatrischen Klinik zu spielen. Machen Sie es den Ärzten nicht zu schwer, ich glaube manche unter ihnen sind noch nicht so erfahren auf der Bühne, wissen Sie?"
A darf auf Anraten seines Psychiaters nicht in der Theatergruppe der Psychiatrie mitspielen. Anfangs hat ihn das sehr geärgert. Doch jetzt weiss er wieso. Er ist eben zu gut - ausserdem würde ihn eine Doppelrolle vielleicht doch überfordern. Schliesslich muss er alle Energie in diese eine Rolle stecken. Bloss Regisseur ist er jetzt nicht mehr. Das übernehmen jene Kollegen abwechselnd, die die Ärzte spielen. Schade eigentlich, aber irgendwie doch nicht. Schliesslich ist A in erster Linie Schauspieler.
Ich bin 25, Psychologiestudent, Italiener (mit deutscher Muttersprache) und glücklich verliebt. Ich freue mich über Schnee, Musik und Schokolade... das Schreiben empfinde ich als gutes Ventil für Gefühle und Gedankenspielereien und ich könnte mir lebhaft vorstellen, eine Zukunft in einem literarischen Bereich auszufüllen.