Leumond
März 2004

Das zerknüllte Mordinstrument


Martina Ernst



Das winzige Etwas entdecke ich nur durch puren Zufall. Frischgeduscht gerät der Porzellan-Panther aus meinen Armen rutschend in Schieflage. Mein Blick fällt unbeabsichtigt auf die dreckig-weißen Bodenfliesen vor der geöffneten Wohnungstür. Ich beobachte, gebannt in gebückter Stellung, den Panther auf dem Schoß, wie sie ihre Flügel säubert, etwas gebrechlich den Vorwärtsgang einlegt, um dann doch im Kreis zu laufen. Als ich mit dem nächsten Umzugskarton sichtbehindert stolpernd die Treppe hoch steige, ist es schon passiert. Mutter drückt mit triumphierenden Gesichtszügen das Taschentuch zu einer handfesten Knäuelmurmel zusammen. Flecke auf den Fliesen, Tretminen auf dem schütteren Rasen, Essensreste in den behaarten Maulwinkeln einer Terrierschnauze, das Taschentuch ist stets zur Stelle.
Ich gebärde mich wie wild, als ich den Zusammenhang begreife. Die dreckig-weißen Fliesen sind leer, glänzen an einer Stelle optisch hygienisch rein. "Du hast meine Geldfliege ermordet!" Das Entsetzen steht mir kopfüber ins Gesicht geschrieben. Gut, von einem richtigen Winter (Der Dorfklatschüberlieferung nach zu urteilen gibt es Geldfliegen eigentlich nur im Winter.) kann nicht mehr die Rede sein, obwohl der kalte Wind wie eine Wildkatze um die Bäume schleicht, sich mit seinen luftigen Krallen an Ästen und Mänteln zu schaffen macht und auf den Nasen rote Spuren hinterlässt.
Verdammt, der Besitz einer Geldfliege wäre die Rettung gewesen! Wenn in Indien eine heilige Kuh die Straße überquert, fährt ja auch keiner einfach darauf los und nietet sie um. Erst krankgeschrieben, dann arbeitslos und jetzt eine ermordete Geldfliege vor der geöffneten Wohnungstür.
Stimmt, sie war ja noch gar nicht in der Wohnung drin, aber der Treppenaufgang gehört nun einmal zur Wohnung. Das wird hier sehr genau genommen. Ich bin geliefert! Der Traum von einer Bahamasreise zerplatzt in zahllosen Zeitlupenblasen. Selbst von dem Einbau einer Badewanne kann ich nur noch träumen. Meine Geldsituation steht schon seit längerem auf kratzbürstigen, miauenden Beinen. Katzenjammer, das Schicksal krallt sich meine Geldfliege und wandert damit auf die Bahamas aus. Wahrscheinlich schwimmt sie gerade das erste Mal in ihrem Leben mit einem Delphin. Kapitel 1 der Dorfklatschüberlieferung: "Eine Geldfliege ist unsterblich, entledigt sich nur im Winter, nach jedem Auftrag, seiner gebrechlichen, altersschwachen Hülle, um mit frischgewienerten, neuen Flügeln aufzuerstehen." Kapitel 2: "Leider begleitet sie jeden Menschen nur ein einziges Mal im Leben, um dann, nach einer gewissen tote Fliege imitierenden Auszeit, den nächsten Menschen glücklich zu machen."
Bilder rutschen mir vors innere Auge. Azurblaues Wasser, leichter Wellengang, Palmen im Hintergrund, rosafarbener Strand und eine Fliege reitet übermütig auf einem Delphin. Altersschwäche, Atemnot, krankes Knie alles vergessen.
Verflucht! Nicht mal eine Badewanne werde ich mir je leisten können. Kein Kapitän auf dem Wannenrand, kein Plätschern, stundenlanges Einweichen, Lesen im künstlichen Meerwasser, kein Sinnenbaden.
Die Geldfliege schwimmt an Land, schüttelt sich die nassen Flügel, legt sich auf eine Strandliege im Schatten einer Palme und lässt sich einen eisgekühlten "Laubfrosch" (Cocktail aus Blue Curacao, Orangensaft und Sekt) schmecken.

Mama steht immer noch da, verdattert wie ein Erdhörnchen im Sandsturm, schüttelt den Kopf und rührt sich nicht. "Das habe ich nicht gewollt!", sagt sie, guckt schuldbewusst und steckt die Knäuelmurmel in die rechte Hosentasche. In ihrer linken Hosentasche steckt noch mindestens ein sauberes Taschentuch. Ich suche die Wohnung ab, feinsäuberlich, ohne einen einzigen Winkel auszulassen. Keine Geldfliege mehr aufzuspüren. Der Wunsch hält sich kurzfristig für den Vater meiner Gedanken. "Es gibt ja auch nur eine Geldfliege (Kapitel 3 der Dorfklatschüberlieferung) und die macht sich gerade auf den Bahamas eine faule Lenzsaison!", denke ich wütend in gebeugter Trauer.
Mama hat Fersengeld gegeben. Ich schleppe weiterhin die Kartons nach oben und überlege kopfzermarternd. Wiederbelebung, das ist es! Ich hole die Fliege aus Mamas Abfalleimer, schmeiße die Knäuelmurmel zusammen mit dem eingestöpselten, antiken Föhn von Oma in die volle Badewanne meiner Eltern im Erdgeschoss, Samstag, Hauptbadetag, Eukalyptusschaum. Es blitzt und scheppert, die Fliege wackelt in den Überresten der aufgeweichten und zerfetzten Knäuelmurmel mit dem Knie und kommt zu sich. Vater staunt mit frischgewaschenem Haupthaar, Mutter gewöhnt sich das Kopfwackeln an. Die Geldfliege stöhnt, rosafarbenen Sand in den Flügeln, "Laubfrosch-Rückstände" an den schmalen Lippen. "So ein Scheiß!", sagt sie als sie die deutsche Umgebung erkennt. Gehäkelte Klorolle, durchnässte Badgarnitur mit Winterfell, eine halbleere Cellulitecremetube, Gebisstabletten, Antischuppen-Shampoo, aufgeplusterter Eukalyptusbadeschaum gegen Erkältungen, schluckt es, spuckt. "Igitt!"

Zwei Wochen später fliegen meine Eltern erster Klasse nach Südafrika. "Jugendtraum!", sagt Mutter und nickt dabei.
Kapitel 4, Zasterübergabekriterium: "Die Wohnung, in der die Geldfliege nach der toten Fliege imitierenden Auszeit wieder zu sich kommt..."

Ich widme meine Geschichte allen Menschen, die knapp bei Kasse sind und sich darüber kopfschüttelnd wundern.

Der Ursprung der Geschichte liegt darin, dass in der eiskalten Jahreszeit Verwandte oder Bekannte nichts besseres zu tun haben, als der letzten Fliege in heimischer Umgebung den Hals umzudrehen und man einen Sündenbock braucht, wenn gerade mal wieder Ebbe im Geldbeutel herrscht.


Ich liebe es, durchs Schreiben zu lernen, bin manchmal überrascht, wie sich Geschichten entwickeln, hätte liebend gerne ein Stipendium, um mehr Zeit zum Schreiben zu bekommen, weil noch so viele Ideen in mir schlummern.
Ich bin 35 Jahre jung, reiselustig, würde gerne mit Pferd und Hund auf den Seychellen vom Schreiben leben, jeden Tag im Splash-Cafe einen Passionmilchshake trinken und auf dem Markt nach Obst stöbern. Manchmal bin ich etwas schreibfaul und ärgere mich darüber, dass die Geschichte sich nicht alleine aus den zwei Worten im Notizheft entwickelt.
Meinen Job als Masseurin finde ich sehr Kräfte-zehrend und für die nächsten Jahre als Ernährungsquelle nicht gerade ideal, Tiermasseurin wäre eine knochenschonende Alternative. Gerne würde ich mich aktiv für Tiere und deren Schutz einsetzen. Mein Hund "Happy" stammt aus Mauritius und soll noch als wahre Geschichte im Taschenbuch landen.
Im Mai werde ich einen Italienischkurs besuchen und hoffentlich bald nach Italien reisen. Ich suche ständig nach neuen Herausforderungen und witzigen Begebenheiten im Alltag, wobei ich manchmal Fettnäpfchen nicht ausweichen und darüber herzlich lachen kann.