Leumond
Februar 2005

Reue


Birgit Paltram



Sie hatte es getan. Die Reue kaum sofort, kaum hatte er die Tür hinter ihr geschlossen. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie hatte sich angezogen, sich keine Zeit genommen für eine Dusche, für einen Blick in den Spiegel. War davon geeilt, hatte ein Essen zu zweit ausgeschlagen. Sie wollte nur weg, sie hatte ein Versprechen gebrochen.
Die Reue war da, kaum hatte sie das vierstöckige Wohnhaus verlassen, kaum war die Tür ins Schloss gefallen, kaum war sie die alten, abgetretenen Steinstufen hinunter gegangen. Ihre rechte Hand hatte sich am Geländer festgehalten. Ihr war schwindelig, das Treppenhaus schien in Bewegung zu sein. Die Reue kam sofort nachdem er gekommen war. Die Reue wartete hinter den zugezogenen Vorhängen. Er hatte sie aufgezogen. Nackt wie er war stand er vor dem breiten Bett und hantierte mit den Vorhängen. Ließ die Sonne herein, die er gerade erst hinausgesperrt hatte. Stellte die Musik leiser und blies die Kerzen aus. Etwas Wachs zerstob in der Luft und landete als feste dicke Tropfen auf der Glasplatte des Tisches. Er küsste sie zum Abschied, sagte, sie solle wiederkommen. Er meinte es ernst, er meinte es immer ernst. Sie wollte nach Hause; sie wollte auf schnellstem Wege nach Hause, zu Fuß die paar Blocks laufen, zwischen den Straßen und Gassen, die schmutzige Luft der Stadt einatmen. Sie hatte keine saubere Luft verdient. Wenn sie nur einen Unfall hätte, wenn nur irgendwas passieren würde, dann wäre alles vergessen. Dann würde nur zählen, dass sie wieder in Ordnung käme. Es wäre dann egal, woher sie gerade kam, was sie getan hatte. Er würde verzeihen, würde noch einmal verzeihen, obwohl er schon sooft verziehen hatte. Es wäre egal, wenn sie nur überleben würde, wieder gesund werden würde.
Eiligen Schrittes, fast rannte sie nach Hause, hastete die Stufen hinauf, hatte keine Zeit auf den Lift zu warten. Das dauerte viel zu lange. Er war nicht da. Sie atmete auf. Wenigstens würde sie Zeit haben ein Bad zu nehmen, vielleicht war er noch länger weg. Fast wünschte sie sich er würde erst morgen kommen oder übermorgen, dann hätte sie die ganze Sache schon ein bisschen vergessen. Sie steckte ihre Kleider in die Waschmaschine und ließ Wasser in die Wanne. Sie versprühte Parfüm im Badezimmer, ließ eine handvoll Badeperlen in dem heißen Wasser zergehen und stellte flüssige Seife und Öle bereit. Im heißen Wasser sitzend zündete sie ein paar Kerzen an. Der Rand der Badewanne verschwamm im Kerzenschein, das flackernde Licht reflektierte in Bergen von Schaum. Sie lehnte sich zurück und ihr Körper entspannte sich endlich. Der intensive Geruch mehrerer Badeöle stieg ihr in die Nase und vertrieb langsam die Erinnerung an seine männlichen Ausdünstungen. Sie hatte keine Ahnung wie lange sie im Wasser gelegen hatte als die Wohnungstür von außen aufgeschlossen wurde.
Mit großen Schritten durchsuchte er die Wohnung nach ihr, lächelte sein breites Lächeln als er sie in der Wanne sah. Mit raschen Handgriffen entledigte er sich seiner Kleider und stieg zu ihr in die Badewanne. Er nahm ihren Fuß in seine Hände und fing an ihn zu massieren.
"Was hast du heute gemacht?", fragte er und sah ihr freundlich ins Gesicht.
"Nichts besonderes", sagte sie und schwor sich, es nie wieder zu tun. Nie wieder in seine Wohnung zu gehen, nie wieder auf seine Anrufe zu reagieren und ihn nie wieder zu belügen.