Leumond
Februar 2005

Getroffen


Thilo Bachmann



Ralf, ein ehemaliger Sonderschüler, geht am Wiener Karlsplatz durch die lange Passage. Da nähert sich ihm ein etwas heruntergekommener und in Gedanken versunkener Mann in mittleren Jahren, der ihm bekannt vorkommt. Er betrachtet ihn kurz, dann sagt er leise zu sich: "Das ist doch der Peter von der komischen Sonderschulklasse. Freilich, das ist der Peter; soll ich ihn anreden, ich weiß nicht. Ich versuch' es." Er geht auf den Mann zu, der ihn kühl und erstaunt mustert und sagt: "Sag, einmal, kennen wir uns nicht? Du bist doch der Peter von der Schulzeit, vor 30 Jahren sind wir in die selbe Sonderschule gegangen. Weißt du das noch?" Er will ihm die Hand geben, aber der Fremde weicht entrüstet zurück und erwidert: "Was fällt Ihnen ein mich zu belästigen? Zufällig heiße ich Peter, aber das ist auch das Einzige, was ich weiß. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Ihnen erlaubt habe mich zu duzen. Ich soll mit Ihnen in der selben Sonderschulklasse gewesen sein? Sie träumen am helllichten Tag? Wie Sie aussehen mit Ihrer Glatzn? Nein, ich kenne Sie nicht. Lassen Sie mich vorbei, das ist doch der Gipfel, oder soll ich einen Polizisten herbeirufen?" Aber der Ralf sagt unbeirrt: "Und wenn du mich anzeigst wegen Anstänkerung, deswegen bin ich trotzdem der Ralf von der Sonderschulklasse vor 30 Jahren. Du, ich und noch ein Weibsbild haben in der Pause viel Blödsinn getrieben".

Der Peter wird stutzig, überlegt, schaut ihn an und versetzt: "Jetzt fällt es mir ein, einen Ralf habe ich einmal gekannt, du sollst derselbe Ralf sein von damals. Also ich weiß nicht, ich kann es noch immer nicht glauben. Wenn du das wirklich bist, dann hast du dich aber ganz schön verändert. Dann freue ich mich schon. So was, der Ralf mit einer Glatze erkennt mich wieder. Also, dann Servus, alter Spezi. Ja, ich erinnere mich, da gab es damals noch ein Weib, ich habe doch glatt ihren Namen vergessen. Das war eine Gaudi. Haben wir da nicht mit ihr unsere Kräfte gemessen. Ich glaube wir haben gegeneinander taugezogen, dann haben wir es im Armbiegen, Stoßen und Hakelziehen versucht." Der Ralf grinst und meint: "Richtig, aber sie hat dich überall in alle Disziplinen locker geschafft, mich aber nicht." Der Peter stimmt ihm aber nicht bei: "Daran kann ich mich aber nicht erinnern. Vielleicht habe ich sie gewinnen lassen." Aber der Ralf sagt spöttisch: "Du weißt es ganz gut, du genierst dich, weil sie klar besser war als du, da bin ich sicher." Der Peter wechselt das Thema und meint: "Gehen wir auf ein Bier? Hast ein wenig Zeit? Ich lade dich ein." Der Ralf: "Keine schlechte Idee, einen Durst hätte ich schon. Ich weiß ein Lokal in der Näh'." Beide betreten den Resselpark und kehren in eines der Beisel unweit von der Karlskirche ein und nehmen Platz. Der Peter geht zur Ausschank, wo die Wirtin, so um die vierzig, gerade einen Melange zubereitet. Er sagt zu ihr: "Frau Wirtin, können wir zwei Krügerl Bier haben? Aber die Wirtin erwidert etwas resch: Sie werden`s da warten können, ich muß erst den Kaffee einem Gast bringen. Sobald sie zurück ist, meint sie unfreundlich: "Zwei Bier wollen Sie? Setzen Sie sich an den Tisch, bei mir wird gleich.....z" Sie sieht den Peter jetzt genauer an und tritt überrascht zurück und sagt erfreut: "Das darf doch nicht wahr sein, bist es du oder hast du einen Doppelgänger? Du bist doch der Peter von der Sonderschule vor 30 Jahren. Ich bin die Irmgard, kennst mich noch? Viel Unfug haben wir damals trieben mit dem Ralf." Der Peter: "So ein netter Zufall, ja die Irmgard, genau. Dein Name war mir entfallen. Du wirst nicht glauben, der Ralf sitzt gerade bei mir am Tisch." Die Irmgard fragt noch etwas unsicher: "Das ist der Ralf, der mit der Glatze? Das muß gefeiert werden. Ihr seid natürlich meine Gäste." Sie setzt sich mit den Biergläsern zum Ralf, der sie ebenfalls erstaunt und erfreut begrüßt, und dem Peter an den Tisch, Sie plaudern von vergangenen Zeiten. Irmgard zwinkert belustigt dem Peter und bemerkt: "Ich erinnere mich noch gut, wir haben zwei Stunden nachsitzen müssen, weil der Lehrer uns beim Armbiegen, Stoßen und Hakelziehen erwischt hat und da war ich dir in alle drei Disziplinen klar überlegen, der Ralf war leider stärker als ich." - Der Peter antwortet etwas zerknirscht: "Habe ich dich da nicht gewinnen lassen?" Aber die Irmgard sagt lächelnd: "Nein, nein, es war umgekehrt, ich habe dir eine oder zwei Chancen gegeben und dich im Armbiegen und Stoßen gewinnen lassen - du hast mir Leid getan - du hast dich dann im Normalen ganz schön angestrengt, dass du geschwitzt hast, mehr war bei dir nicht drin. Gegen dich habe ich leicht gewonnen. Der Ralf hat mich leider doch geschafft, aber nicht so locker wie ich dich."
Der Ralf lächelt spöttisch und der Peter wird kleinlaut. Er kann das, was die Irmgard gesagt hat nicht bestreiten. Diese meint dann noch: "Ich bin sicher, dass ich dir im Armbiegen und Stoßen auch heute noch Herr werd`."
Beim zweiten Bier sagt der Ralf zur Irmgard: "Wie alt bist du eigentlich jetzt? Ich bin 44 und der Peter auch." Die Irmgard: "Ich werde 43 im August." Es wird noch ein netter Abend für alle drei. Als sie sich verabschieden sagt die Irmgard: "Wollen wir uns wieder treffen?" Der Ralf erwidert: "Warum nicht, vielleicht nächste Woche zu einem Tischtennisspiel. Kannst du das überhaupt?" - Die Irmgard: "Blöde Frage, euch putze ich mit zwei Finger weg. Bei mir gibt es kein gewinnen lassen mehr so wie früher. Also bis nächste Woche dann. Pfüat eich." Ralf und Peter gehen jeder für sich seiner Wege und freuen sich auf das nächste Wiedersehen mit Irmgard, ihrer früheren Schulkollegin.

Thilo schreibt außer den hier aufgeführten Geschichten gerne Kurzkrimis, Weihnachtsgeschichten, Gedichte und Essays. Zudem ist er Hobbypianist. Seine Lieblingsautoren sind: Dostojewsky und Gustav Freytag