Leumond
Februar 2005

Senryusammlung


Erni Bär



SENRYU 1


Alles ist komisch.
Aus den fünf Aggregaten
entsteht Illusion.

SENRYU 2


Gebrochener Sitz
macht mir das Autofahren
zur Wackelpartie.

SENRYU 3


Mein Immunsystem
bewahrt mich immer wieder
vor Taschentüchern.

SENRYU 4


Keine Besucher.
Ideale Ausstellung
zeigt nichts als Leerheit!

SENRYU 5


So klein ist mein Raum,
und doch umfasst er alles.
Auch Binsenweisheit.

SENRYU 6


Zeichen auf der Stirn:
Ich bin ein gebrauchter Mann,
immer auf der Suche
nach gebrauchten Frauen!

SENRYU 7


Menschen ohne Geld
gehört die Welt!
Wenn das kein Trost ist.

SENRYU 8


Besitz ist statisch,
erst wenn sich der Geist bewegt
entsteht Dynamik.

SENRYU 9


Bhangra ist Musik,
die für himmlische Ohren
gemacht zu sein scheint.

SENRYU 10


Wildrosenzweige
zeigen zaghaft erstes Grün
auf der Deichkrone.

SENRYU 11


Helles Sonnenlicht
konturiert alle Formen
unbarmherzig scharf.

SENRYU 12


Der kleine Pudel
schnüffelt erst ganz vorsichtig
an der ausgestreckten Hand
bevor er wedelt.

SENRYU 13


Die Nachbarskatzen
fauchen unten im Garten:
Es ist Paarungszeit.

SENRYU 14


Bardo ist ein Wort
ohne viel Sinn für Deutsche.
Trotzdem: kein Ausweg!

SENRYU 15


Endlich loslassen:
Viel Überflüssiges
geht zur Versteigerung.

SENRYU 16


Muster ohne Wert
bestimmten bisher zu stark
in meinem Leben.

SENRYU 17


Mit nassen Händen
und viel Unaufmerksamkeit:
zerbrochenes Glas.

SENRYU 18


Stil ist Selektion
und finale Entscheidung
zwischen den Übeln.

SENRYU 19


Eine Wattewelt
ist das treffende Symbol
für Langeweile.

SENRYU 20


Neues Pappregal:
Im Inneren der Schuber
buntes Geheimnis.

SENRYU 21


Zwei Glas Milchkaffee
im Kreis von Draht & Spiegeln -
das ist meine Norm.

SENRYU 22


Der Senator klebt
bunte Marken auf Flaschen:
umhüllte Essenz!

SENRYU 23


Der kleine Buddha
lächelt mich aufmunternd an:
Werde so wie ich!!

Senryu: Dabei handelt es sich um ein 17silbiges Gedicht von derselben Form wie der ebenfalls aus Japan stammende HAIKU. Ein Senryu ist vom Inhalt her aber nicht ausschließlich der Natur verpflichtet, sondern befasst sich mit der so genannten menschlichen Natur und den zwischenmenschlichen Beziehungen. Senryus sind meist humorvoll und witzig oder satirisch/ ironisch in ihrer sprachlichen Formulierung. Die Adaptionen in Deutsch haben dieselbe Form wie deutschsprachige Haikus, und der Stimmungsradius reicht von ernsthaft bis lustig oder ist eine Mischung aus beidem.


Als ehemaliger "Kulturrevolutionär" und Fan von Jack Kerouac, dessen Buch "Dharma Bums" ihm das japanische Kurzgedicht näher brachte, beschäftigte sich Erni Bär zunächst mit Haikus, später mit den weniger naturverbundenen, lockereren Senryus. Der 17-Silben-Purist hat zumeist etwas zum Schreiben dabei und kommt gerne spontan auf neue Ideen.