Leumond
Mai 2004

Das Glas


Heiko Sonnleitner-Seegmüller



Stundenlang saß ich in diesem kleinen Café um die Ecke und betrachtete mir die Menschen, die unermüdlich und gehetzt an mir vorbeizogen. Eine Hektik, die in diesen Räumlichkeiten nicht zu verspüren war. Nur leise drangen die Geräusche der Blechlawinen durch die großen, mit einigen Aufklebern versehenen Fenster. In mir hatte sich an diesem Tag eine seltsame, eine nachdenkliche Stimmung breit gemacht, die ich in dieser Intensität noch niemals zuvor erlebt hatte und bis zum heutigen Tag niemals wieder erleben durfte. Meine Gedanken streiften durch die Welt und vor meinem geistigen Auge tauchten immer wieder die Bilder vergangener und gegenwärtiger Ereignisse auf.
Eine Frau brachte mir ein Glas Wasser, das ich mir nach meinem vierten oder fünften Kaffee bestellt hatte. Leise erklang meine Stimme und gab ein Danke in den Raum, von dem ich nicht weiß, ob es zu leise war, um in ihr Gehör einzudringen.
Ich betrachtete mir dieses Glas Wasser. Wie rein das Wasser war. Nichts schien diese Flüssigkeit zu trüben. Ich nahm das Glas in die Hand, schaute hindurch. Und durch dieses Wasser zwischen mir und der Umwelt erschien mir das Gesehene verzerrt und dennoch kenntlich.
Noch war es rein und genießbar, doch wie würde es morgen sein, übermorgen. Bakterien würden sich in ihm vermehren. Bald würde es ungenießbar werden. Es würde seine Reinheit verlieren. Und wenn es seine Reinheit verloren hatte, würde dieses Wasser unbeachtet hingestellt und für lange Zeit würde es kein Mensch mehr beachten. Vielleicht würde es für immer unbeachtet bleiben. Vielleicht würde ein Mensch dieses Glas ausschütten; in den Abfluss oder sonst wohin. Jeder einzelne Tropfen würde in den unendlich vielen Tropfen eines großen Beckens nicht mehr auffallen.
Unwillkürlich dachte ich an das Leben eines Menschen. Kamen wir nicht alle so rein wie dieses Wasser auf diese Erde? Wurden wir nicht alle im laufe unseres Lebens mit Bakterien verseucht? Bleiben wir nicht alle unbeachtet irgendwo in einer Ecke stehen? Und gehen wir nicht alle unter in der Flut der großen Stadt?
Ich stellte mir diese Fragen, doch so sehr ich darüber nachdachte, desto weniger klar wurde mir die Antwort. Und mit dieser Unklarheit verstummten langsam auch die Fragen.

Diese Geschichte widme ich meinen drei Kindern und meiner Frau. Behaltet eure Reinheit.


Ich mag keine Geschichten, die sich immer wieder an die gleichen, alten Regeln halten. Schreiben ist ein Ausdruck der Persönlichkeit und Stile und stilistische Mittel sollten dem Autor eigen sein. In meinen Geschichten versuche ich den Leser in die Situation der Handlung zu versetzen. Ich selbst sehe das Geschriebene vor meinem „Inneren Auge“ und bin mitten in der Geschichte. Manchmal ertappe ich mich, wie ich mich ängstlich umsehe wenn ich schreibe, manchmal freue ich mich mit meinen Figuren. Meine Figuren sind auch nie geradelinig. Sie sind nie berechenbar und wechseln oftmals sehr schnell ihren Charakter, so wie dies auch bei einem realen Menschen der Fall ist. Die Figuren haben nur eine ganz grobe Richtung.
An ein bestimmtes Genre halte ich mich nicht und oftmals passen meine Geschichten nicht in eine bestimmte Sparte.
Worauf ich Wert lege? Meine Geschichten müssen etwas aussagen. Sie müssen eine gewisse Tiefe haben. Egal ob ich gerade Horror oder eine Liebesgeschichte schreibe. Sie müssen eine gewisse Tiefe besitzen.
Was ich hasse? Verlage die Einheitsbrei produzieren. Das kommt leider viel zu oft vor.