Leumond
Dezember 2007

Weihnachten vor 50 Jahren


Kindheitserinnerungen


Hannelore Halper



Viel gab es damals nicht. Wir hatten Glück, weil wir bekannte Bauern in der Steiermark hatten. So gab es doch Eier, eingelegt im Wasserglas statt des Trockeneies, das man allgemein verwendete. Für einen silbernen Armreif gab es Mehl und unter dem Küchentisch lugte eine Gans hervor. Sie war in einer Kiste, wurde mit Mais gefüttert und wartete auf ihr Schicksal, welches sie auf jeden Fall vor Weihnachten noch ereilen sollte. Darnach hat es wieder Gänseleber und Gänseschmalz den ganzen Jänner hinein gegeben. Geradezu eine Delikatesse für uns, die wir nicht verwöhnt waren.

Die Weihnachtszeit fing damit an, dass in der großen weißen Backschüssel alle Zutaten gerührt, geknetet und probiert wurden. Wenn der Teig fertig war, wurde er ausgerollt und ich suchte mir die Ausstechformen aus, die ich am liebsten hatte und begann zu arbeiten. Nach mehrmaligem Ausrollen färbte sich mein Teig dunkel von den nicht gerade reinen Fingerchen, aber trotzdem naschte ich heimlich, wenn Mutter nicht hin sah. Die Herzchen, Tannenbäumchen und Sternchen wurden dann aufs Backblech gelegt und in das Rohr geschoben. Bald fing es in der ganzen Wohnung zu duften an.
Richtig fröhliche Stimmung kam in mir auf. Auch die Erwachsenen schienen fröhlicher, obwohl damals zum Fröhlichsein wenig Grund vorhanden war.

Das Wohnzimmer blieb lange Zeit tabu. Der Schlüssel wurde versteckt. Mutter holte ihn manchmal hervor und verschwand im Zimmer. Ich lauschte gespannt, um ein verdächtiges Geräusch ausmachen zu können, aber alles lief ganz leise ab. Meistens erstreckten sich Mutters Heimlichkeiten auf die Nachtstunden.

Immer wieder schauten Verwandte bei uns herein. Sie bekamen Kekse, Anisbögen und Vanillekipferln – und natürlich einen Kaffee von Franck & Kathreiner. Einen guten Malzkaffee. Manchmal waren auch echte Bohnen dabei, die ich in der Kaffeemühle mahlen durfte. Ich nahm dieses hölzerne Gerät zwischen die Knie und drehte mit aller Kraft am Hebel. Es knirschte und die kleinen Brösel fielen in die Lade darunter. Ich wünschte mir immer, es sollte das ganze Jahr über Weihnachten sein. So sehr freute ich mich auf das Fest. Mutter wirkte abgehetzt, genau so wie die Frauen heute.

Es war nur alles leiser, geheimnisvoller und feierlicher. Es gab weder das grelle Neonlicht noch störte das ewige Gedudel immer wieder gespielter amerikanischer Weihnachtslieder. Christbäume wurden unten am Markt angeboten. Es waren Fichten aus heimischen Wäldern. Einen ganz kleinen Baum konnten wir uns auch leisten. Er wurde durch den knirschenden Schnee nach Hause getragen und ins Kabinett gestellt. Hier war es am Kühlsten. Wir konnten ohnehin nur einen Raum und diesen nur einige wenige Stunden beheizen. Die Kälte war beißend und trotzdem stand ich voller Bewunderung am Fenster und betrachtete die vielen glänzenden Eisblumen.

Der Weihnachtsbaum war etwas ganz Geheimnisvolles. Und noch etwas: am Linoleum in der Küche fand ich immer wieder silberne Tropfen. Als ich Mutter darnach fragte, was dies zu bedeuten habe, sagte sie nur: "Das ist sicher der Weihnachtsmann. Er weint, weil er uns nicht viel bringen kann und das sind seine Tränen." Der Weihnachtsmann tat mir leid, weil er sich so kränkte und ich dachte: "Es macht nichts, wenn er so arm ist, muss er auch nichts bringen, aber weinen soll er doch nicht."

Wenn am Heiligen Abend das Glöckchen erklang und die Wohnzimmertür langsam geöffnet wurde, war der erste Anblick der Baum! Im Zimmer war es dunkel, nur der Baum strahlte, funkelte und duftete. Glitzernd bis an die Spitze stand er da. Eingesponnen in Fäden von feinem Engelshaar, die sich leise im Wind der Kerzenwärme bewegten. Viele bunte zerbrechliche Kugeln, einige Windringerl, Lametta und viele echte weiße Kerzen schmückten unser Bäumchen. Aber auch silberne Nüsschen hingen von den Ästen. Darunter saßen die Puppenkinder aus Stoff mit Gesichtern aus Papiermaché. Ich taufte sie Hannerl und Christl.
Die Haare waren aus Wolle und egal, ob blond, ob braun, sie ließen sich gut zu Zöpfen flechten. Das Christkind brachte diesmal sogar eine Puppe aus Zelluloid. Eine sogenannte Schildkröt-Puppe. Sie hatte zwar einen kleinen Sprung am Kopf, weil sie nicht mehr ganz neu war, aber das tat der Liebe keinen Abbruch. Sie wurde Traudl getauft und in die Schar der anderen aufgenommen.

Selbst in dieser schwierigen Zeit, blieb der Zauber dieser beschaulichen Stunden bis heute in Erinnerung. Und das Geheimnis der silbernen Tränen des Weihnachtsmanns wurde später gelöst:
es war die silberne Farbe mit der die Nüsse gestrichen waren.

Hannelore Halper ist Kulturredakteurin der e-Zeitung "Die Virtuelle" und Werbemanagerin.
Im Bereich Literatur schätzt sie vor allem Klassiker und Werke der Romantik.