Leumond
Dezember 2007

Eine Weihnachtsüberraschung


Hannelore Halper



Die Stadt lag unter einer glänzenden Schneedecke. Hannerl blickte zum Himmel hinauf. Die Sterne hatten ihr Licht angesteckt. Es wimmelte von großen und kleinen Sternen. Sie funkelten und tanzten wie die Fünkchen von den Sternspritzern am Weihnachtsbaum.
Mitten drinnen übergoss der Vollmond die Welt mit silbrigem Glanz. Der Schnee knarrte unter ihren Füßen. Das Mädchen im dünnen Mäntelchen mit den Halbschuhen fror erbärmlich. Die Kälte kniff sie überall hin und brannte wie Tausende von Nadelstichen auf der Haut. Die Schneeflocken fielen immer wilder und der Sturm wehte ihr ins Gesicht. Sie stolperte durch den Park und querte ohne links und rechts zu schauen die Straße. Gleich gegenüber befand sich das alte Zinshaus, in dem sie wohnte. Keuchend lief sie die Stiegen in den zweiten Stock hinauf.
Leise, mit halberfrorenen Fingern, klopfte sie an die Wohnungstür. Die Mutter öffnete und ein leichter Hauch von Wärme schlug ihr entgegen. Der kleine eiserne Ofen glühte, ein Holzscheit knisterte drinnen und ein Apfel zum Braten lag darauf. Er duftete himmlisch und versprach ein besonderer Leckerbissen zu werden.
Hannerl öffnete die Kabinetttür einen Spalt breit und lugte ängstlich in den kalten Raum. "Ob das kleine Tannenbäumchen wohl noch da ist?" Ihr Gesicht wurde hell vor Freude, wenn sie an den Heiligen Abend dachte. Da wird das Bäumchen festlich erstrahlen. Die alten halb zerbrochenen Glaskugeln, die Goldketten und die Wachskerzen werden es zieren. Vielleicht werden sogar einige Windringerln mit Zwirnfaden daran gebunden sein. Geschenke werden sicher keine darunter liegen. Mutter sagte immer: "Wir haben kein Geld." Sie war traurig, wenn sie von anderen Kindern hörte, was sie sich alles zu Weihnachten wünschten. Aber andere Kinder hatten einen Vater, der Geld nach Hause brachte. Sie war mit ihrer Mutter allein, der Vater war aus dem Krieg nicht zurück gekommen. Sie waren arm. Arm wie Kirchenmäuse. Es reichte nie für neue Kleider oder Spielsachen. Alles was sie hatte, war schon vorher von anderen Kindern getragen und abgelegt worden.
Im grauen Dämmerlicht des nächsten Morgens weckte sie die Mutter. Hannerl streckte ein Bein unter der Decke hervor. Es war eiskalt in der Wohnung. Man konnte sogar den Hauch wie eine kleine weiße Wolke vor dem Mund sehen. Sie langte nach ihren Strümpfen und der Unterwäsche und zog sich unter der warmen Decke an. Das Aufstehen war immer das Ärgste für sie. Fröstelnd kroch sie aus den Federn, nahm einen Schluck Milch aus der abgeschlagenen Tasse, schlüpfte in ihr dünnes Mäntelchen und machte sich auf den Weg.
In der Schule wurden eifrig Weihnachtslieder und -gedichte geprobt. An den Wänden hingen Zeichnungen mit Weihnachtsbäumen und festlich verpackten Geschenken darunter.
Die Lehrerin sagte: "Dieses Jahr werdet ihr euch gegenseitig beschenken. Jeder nimmt einen Zettel, schreibt seinen Namen darauf. Dann bringt ihr ihn alle zu mir. Ich werde sie gut durchmischen und jedes Kind darf einen Zettel ziehen. Dessen Name darauf steht, dem macht ihr zu Weihnachten ein kleines Geschenk."
Alle Schülerinnen schrieben ihren Namen - nur Hannerl senkte den Kopf, Tränen kullerten über ihre Wangen. Sie dachte: "Wenn ich doch nur etwas hätte, was ich schenken könnte!"
"Was ist mit dir?" fragte die Lehrerin. "Gibst du deinen Zettel nicht ab?"
Zögernd und beschämt flüsterte die Kleine: "Ich darf nicht mit machen. Wir haben kein Geld, um ein Geschenk kaufen zu können."
Alle Mitschülerinnen blickten erstaunt in ihre Richtung. "Wenn du keinen Zettel abgibst, bekommst du aber auch kein Geschenk", sagte die Lehrerin bedauernd.
Die Traurigkeit legte sich wie ein Stein auf das Gemüt des Kindes. Wie schon so oft, musste es sich dem Schicksal fügen und verzichten.

Es kam der Tag der Weihnachtsfeier. Alle vier Kerzen am großen Adventkranz im Klassenzimmer wurden angezündet. Das Licht flackerte und warf zittrige Schatten an die Wände. Rote Tropfen fielen zu Boden. Es sah aus als würden die Kerzen mit dem Mädchen weinen.
Die Kinder waren festlich angezogen, nur Hannerl trug immer ihre gleiche braune Hose und den von der Mutter gestrickten rauen Schafwollpullover.
Fröhliche Weihnachtslieder wurden gesungen und stimmungsvolle Gedichte aufgesagt.
Dann kam der große Moment der Verteilung der Geschenke. Die Lehrerin rief die Namen: "Schmid, Maier, Bauer, Müller, Novak". Die Aufgerufenen liefen hinaus und holten sich Freude strahlend ihre Gaben.
Dann fuhr die Lehrerin fort, die nächsten Päckchen zu verteilen: "Koller, Swoboda, Thaler..............." Das Mädchen dachte sich verhört zu haben und reagierte nicht. Nochmals rief die Lehrerin: "Thaler! Nun komm doch heraus und hole dir dein Weihnachtsgeschenk!" "Nnnein", stammelte Hannerl, "ich bekomme doch nichts. Ich konnte auch niemanden beschenken."
Doch dann kam die Lehrerin zu ihr und legte das Päckchen vor sie hin. Es war in buntes Weihnachtspapier gewickelt und eine rote Schleife war darum gebunden. Ein Kärtchen lag dabei. Unter einem Vorhang aus Tränen las sie: "Frohe Weihnachten wünschen dir deine Mitschülerinnen". Mit feuchten zittrigen Fingern löste sie das Band, wickelte das Papier ab und öffnete den Karton. Drinnen waren ein Buch und ein paar Strümpfe. Gleich zwei Geschenke auf einmal! War das eine Überraschung!
Sie musste sich setzen. Ihre Knie schlotterten und diesmal weinte sie ganz hemmungslos - aber es waren Freudentränen. Die ganze Klasse freute sich mit ihr, dass die Überraschung so gut gelungen war.

Hannelore Halper ist Kulturredakteurin der e-Zeitung "Die Virtuelle" und Werbemanagerin.
Im Bereich Literatur schätzt sie vor allem Klassiker und Werke der Romantik.