Leumond
April 2005

In Liebe dein Sohn Vincent


Birgit Paltram



Vater, ich schreibe den Menschen, dir mir wichtig sind. Du kannst es wahrscheinlich kaum glauben, aber Du Vater bist wichtig in meinem Leben.
Du hast mein Leben geprägt, mehr als Dir bewußt sein wird. Ich bin Dein Sohn und auch wenn unser Verhältnis sich immer mehr einem Drama auf einer Theaterbühne ähnelte möchte ich mein Leben nicht beenden, ohne mit Dir gesprochen zu haben. Da wir seit vielen Jahren nicht mehr miteinander reden und ich auch jetzt, wo die Krankheit mich längst gezeichnet hat nicht mehr hoffe, daß wir miteinander reden werden, greife ich zu Stift und Papier, um Dir ein paar Worte zu sagen.
Es tut mir leid zu gehen, ohne jemals der Sohn gewesen zu sein, denn Du Dir gewünscht hattest. Du wirst mir dieses Vergehen nicht verzeihen können, dazu sitzen die Wunden zu tief, dazu ist die Enttäuschung, die sich mit jedem meiner Lebensjahre mehrte zu groß.
Aber Du sollst wissen Vater, daß ich Dich immer geliebt habe und während vieler Jahre hatte ich mir gewünscht Dich zu hassen, denn dann wäre es für mich leichter gewesen.
Haß wäre wunderbar gewesen, ging es Dir ähnlich? Oder war Dein Haß, nicht nur verletzter Stolz?
Ich will Dich nicht anklagen Vater. Ich will mich nur verabschieden.
Du hast es wohl längst vermutet, aber es hat mich erwischt, ich weiß es schon sehr lange und darum ist es auch nicht mehr erschreckend oder ängstigend - die Angst liegt hinter mir, die Angst vor der Krankheit. Ich werde noch vor meiner Zeit sterben, auch wenn ich noch keine dreißig bin und noch einige Jahre an Leben vor mir liegen könnten. Du bist heute doppelt so alt wie ich und erfreust Dich wie ich hörte bester Gesundheit. Mutter sagte es mir, sie erzählt mir manchmal von Dir, wußtest Du das? Ich denke nein, denn seit Jahren wurde mir zugetragen darf mein Name in Deinem Hause nicht mehr erwähnt werden. Dabei hattest Du ihn selbst ausgesucht und ihn letztlich wieder zum Schweigen gebracht.
Ich konnte Dir viele Jahre nicht verzeihen und hätte ich gewußt, daß mein Leben keine drei Jahrzehnte umfaßt wäre ich vielleicht gnädiger gewesen, wäre rücksichtsvoller gewesen, hätte mehr Verständnis aufbringen können. Hätte verstanden und nicht nur gewußt, warum Du so handelst wie Du handelst. Ich hätte Dir vielleicht schon vor vielen Jahren verzeihen können, so kann ich es erst jetzt tun, jetzt wo es zu spät sein wird.
Nicht einmal mein Tod wird Dich versöhnen, denn ich sterbe an dieser verhaßten Schwulenkrankheit, die nur die allerschlimsten trifft. Den Abschaum vom Abschaum, nanntest Du es nicht einmal so? Ich weiß was ich bin und ich weiß, wie die Menschen von uns denken und sprechen, selbst jetzt noch zwanzig Jahre nach dem dieser Virus sich eingeschlichen hat und nicht nur der Abschaum daran gestorben ist.
Es tut nicht mehr weh Vater und das habe ich in einem großen Maße Dir zu verdanken.
Du warst es, der mich lehrte demütigende zerstörerische Kritik einzustecken und mit dem Haß anderer Leute zu leben und das schon in sehr jungen Jahren. Deine Abneigung Deinem ältesten Sohn gegenüber hat sich tief in mich gebohrt, wie ein Stachel aus Eisen aber je weiter dieser Stachel sich in mir breit machte, desto weiter wuchs er auch nach außen und irgendwann wurde er zu einem Schutzschild und zu meiner Stärke.
Wahrscheinlich lachst Du jetzt und denkst, dieser warme Lümmel denkt er ist stark? Ja Vater, ich bin stark. Ich mag für Dich und Deine Freunde der letzte Dreck auf Erden sein, jemand denn man am liebsten verprügeln möchte, sobald er des Weges kommt. Aber ich frage Dich, was blieb mir anderes übrig als stark zu sein, nachdem Du mich schwach machen wolltest?
Du wärst stolz auf mich wenn Du mich sehen könntest, wenn Du darüber hinweg sehen könntest wie ich lebe.. Aber nichts was ich je getan habe hat Deinen Ansprüchen genügt.
Ich konnte kaum laufen da warst Du enttäuscht, daß der Fußballclub mich nicht wollte.
Nicht sportlich genug.

Die Söhne Deiner Freunde haben mich bald links liegen lassen. Du hast mich verprügelt als ich vom Baumhaus fiel und mir den Arm brach, echte Jungs fallen nicht vom Baum. Allerdings bin ich nie wieder von einem Baum gefallen.
Du hast Dir viel Mühe mit mir gegeben, über viele Jahre hinweg, vorallem deshalb da zwei Jahre nach mir Lucy geboren wurde und sie nur ein Mädchen war.
Lucy hat Dich vergöttert, weißt Du das Vater? Für Lucy warst Du die Welt und sie hat erst vor wenigen Jahren aufgehört um Deine Gunst zu kämpfen. Sie ist ein wunderbarer Mensch und an ihr sehe ich was Deine Erziehung bewirkt hat. Du hast einen stolzen, kämpferischen, wütenden und unendlich kreativen Menschen in diese Welt geschickt.
Lucy hat ein großartiges Leben vor sich, sie lebt jeden Tag mit vollem Einsatz. Niemand kann ihr ihre Lebensfreude nehmen, nachdem sie so viele Jahre darum gekämpft hat.
In Deinen Augen sind wir gleich, nicht wahr? Wir leben beide mit dem falschen Mann.
Du hast eine Dichterin zur Tochter wußtest Du das? Ihr Gedichtband wurde hochgelobt, wunderbare, gefühlvolle und tiefgehende Gedichte, die Seite um Seite füllen und einige handeln von Dir.
Lucy und ich haben uns schnell verbündet, sie war keine vier Jahre alt da nahm sie mich in die Arme, als ich an meinem ersten Schultag weinend nach Hause gekommen bin. Du schicktest mich ohne Abendessen ins Bett und fragtest nicht nach dem Grund. Ich kann ihn Dir heute noch sagen, Dein sechsjähriger Sohn wurde eine Schwuchtel genannt, an seinem ersten Schultag, in seiner ersten Unterrichtsstunde. Ich kannte dieses Wort nicht, aber ich wußte, daß es ewig an mir haften würde.
Es waren nicht alle Deine Kinder eine Enttäuschung, schon im Jahr nach Lucy kam Thomas und endlich war der Sohn da, den Du Dir immer gewünscht hattest. Es war sicher ein Aufatmen im Haus zu hören. Und für mich wurde es leichter. Ich stand nun nicht mehr im Mittelpunkt Deiner erzieherischen Maßnahmen. Ich konnte ein wenig mehr ich selbst sein. Dein Auge richtete sich auf die neue Hoffnung in der Familie. Lucy und ich wir standen nun gemeinsam am Rand und sahen zu wie der kleine Bruder den Vater stolz machte.
Thomas war Dein Ebenbild, nicht nur äußerlich, sondern vorallem in seiner Art. Er war Mannschaftskapitän in mehreren Sportvereinen, ihr wart fast jeden Sonntag beim Fischen. Deine Freunde wurden wieder geselliger und Du konntest wieder lachen und fröhlich sein. Auf die Straße zu gehen war keine Schande mehr, Du hattest endlich die Anerkennung bekommen, die Dir schon bei meiner Geburt zugestanden hätte.
Daß ich Thomas den Rang des Erstgeborenen streitig gemacht hatte konnte man bald vergessen, er überragte mich schon in der Grundschule um ganz acht Zentimeter und ich sollte diesen Vorsprung nie wieder einholen. Während der Sommerferien hast Du ihn persönlich trainiert, damit er mit einem Vorsprung in die neue Saison gehen konnte.
Thomas brauchte nicht lange um seine Vorzugsstellung mitzukriegen, ich kann es ihm nicht verübeln, sie war ihm schließlich in den Schoß gefallen.
Ich habe ihn vor zwei Jahren getroffen, zufällig auf der Straße. Ich war nicht alleine und er wechselte die Straßenseite mit einem kurzen Nicken, kaum daß man es wahrgenommen hatte. Er ist inzwischen verheiratet und ich bin mir sicher Vater, er wird Dir die Enkelkinder schenken, die Du Dir in späteren Jahren gewünscht hast.
Aber ich habe Dich nicht nur in Bezug auf meine Partnerwahl enttäuscht, auch mein beruflicher Werdegang war alles andere als befriedigend für Dich. Dabei dachte ich zu Beginn, daß Du ein kleinwenig Interesse zeigen würdest. Als ich zu malen anfing erzählte Mutter mir, daß auch Du eine kurze Periode mit dem Gedanken spieltest Künstler zu werden. Daß auch Du für die bildende Kunst eine Vorliebe hattest. Ich muß zugeben ich war sehr überrascht davon zu hören. Du warst mir nicht der Mensch, der in Galerien und Museen geht. Ich sah Dich nie einen Pinsel zur Hand nehmen und doch versicherte Mutter mir, daß in Eurem ersten Jahr Du wunderbare Bilder maltest.
In einer Gruppenausstellung Deine Arbeiten zeigtest und nach erscheinen der Kritik alle Deine Bilder verbrannt und nie wieder ein Wort darüber verloren hast. Ich saß staunend vor Mutter, ich hatte einen Künstler zum Vater und wußte nichts davon. Darin beweist sich meine Stärke Vater, mich konnte die Kritik von Zeitungsschreibern nicht mehr treffen, sie konnten mich nicht vom Malen abhalten und ich habe viele Male schlechte Kritik erhalten lange bevor die gute kam. Denkst Du manchmal daran was gewesen wäre, wenn diese Zeitungskritik nicht gewesen wäre? Wenn Du einfach weiter gemalt hättest. Ich denke, es hätte sich auch auf mein Leben ausgewirkt, auf unser aller Leben.
Die Nächte hier sind sehr lang und sehr still. Nur selten, daß die Schwestern jemanden versorgen müssen. Es ist eine ruhige Station, wir sterben hier alle sehr leise. Vom Gang her kommt ein schwaches Licht zu mir ins Zimmer, meine Türe steht immer offen, Menschen kommen und gehen. Dein Bruder war da, nachdem wir uns lange nicht gesehen hatten hat er mir die Hand gereicht. Seine zweite Frau hat geweint, obwohl sie mich zum ersten Mal hier gesehen hat. Viele meiner Freunde und Bekannten sind diesen Weg schon gegangen und obwohl ich ständig von Stärke und Mut spreche in diesem Zeilen habe ich Angst, Vater. Es ist die Angst vor dem Sterben. Man könnte meinen sterbenskranke Menschen sind zu schwach und zu krank, um sich zu fürchten aber so ist es nicht. Obwohl ich sterben und dieses Krankenhaus nicht mehr auf meinen eigenen Beinen verlassen werde habe ich noch Kraft genug, um mich zu ängstigen, um eine unbeschreibliche Angst zu empfinden vor dem was mich erwartet. Vielleicht schreibe ich diese Briefe nur deshalb, weil die Stunden vor dem Sonnenaufgang mir eine fürchterliche Angst einjagen. In manchen Nächten ist jemand bei mir ein Freund, ein Bekannter oder Lucy, aber meistens schlafen sie irgendwann ein und ich sehe ihnen zu, wie sie atmen und mit einer tiefen Gewißheit einem neuen Tage entgegengehen.
Es ist fast als würden wir uns unterhalten, als würdest Du wütend hier an diesem Bett stehen. Ich kann Dich sehen, wie Du die Hände in den Hosentaschen vergraben hast und vor meinem Bett auf und ab gehst, wie Du immer zorniger und im Grunde nur hilfloser wirst. Verzeih mir Vater ich scheine nicht mehr Herr meiner Sinne zu sein, wenn ich schreibe, daß Du hilflos und schwach bist. Ich habe doch immer noch Respekt vor Dir und wollte Doch immer nur daß auch Du mich siehst. Mich nur einmal richtig ansiehst, mir sagst, daß ich Dein Sohn bin egal wie die andere Seite aussieht.
Ich muß Dich um Verzeihung bitten, für Mutter - verzeih Deiner Ehefrau Vater, sie konnte gar nicht anders, als mich zu lieben. Mich und Lucy zu nehmen wie wir nun einmal in diese Welt gekommen sind. Verzeih ihr ihre Loyalität ihrem schwulen Sohn gegenüber.
Es ist fast fünf Uhr morgens und meine Gedanken scheinen noch immer nicht zu einem Ende zu finden. Da ist noch so vieles was ich Dir unbedingt sagen wollte und was ich Dir von meinem Leben erzählen wollte. Auch wenn Du es Dir nicht vorstellen konntest Vater aber ich war ein glücklicher Erwachsener. Ich hatte eine gute Zeit in diesem Leben.
Ich hatte mehr, als die meisten Menschen in einem ganzen Leben manchmal nicht zu haben scheinen. Vater ich wurde geliebt, ich wurde von Menschen geliebt und aufgenommen. Ich war nicht alleine, keine Stunde meines Lebens mußte ich mich mit Einsamkeit quälen oder mit Verzweiflung. Diese Krankheit war die erste und einzige Katastrophe in meinem Leben. Und wäre es zwischen uns besser gelaufen dann hätte ich ein Leben aus dem Bilderbuch gehabt. Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen. Du hast wohl wie jeder von uns so gehandelt wie es Dir möglich war zu handeln. Ich bin nicht so ruhig und befreit von allen Qualen, wie du jetzt vielleicht denkst. Die Wahrheit ist, in meinem Innern rast es unaufhörlich aber ich bin froh und glücklich diesen Brief doch noch geschrieben zu haben. Und wenn Du ihn liest Vater, dann hat er seine Aufgabe schon erfüllt.
In Liebe Dein Sohn Vincent