Leumond
August 2007

Wieder mal Kind sein


Thilo Bachmann



Zwischen „kindisch“ oder „kindlich“ sein sind zwei verschiedene Welten, die nichts miteinander gemein haben. Sich kindlich geben heißt, das Menschliche im Innern, das Ursprüngliche, die Sehnsucht nach Unbefangenheit, ohne Verstellung allen sichtbar machen.

Erwin, kaum 10 Lenze, und die gleichaltrige Anneliese besitzen seit Längerem einen Papagei mit dem Namen Anton. Erwin und Anneliese gehen oft mit ihm spazieren. Anton sitzt oft gelangweilt auf einem der beiden Schultern und stellt sich schlafend.
Die beiden Kinder schlendern gerade an Menschenmassen vorbei, die sich auf einem Jahrmarkt angesammelt haben. Erwin und Anneliese gehen an einer Musikkapelle vorbei, die laut amerikanische Songs spielt. Erwin deutet auf eine Bude hin, wo Süßigkeiten feilgeboten werden. Anton, ein Kakadupapagei, hat sich von Annelieses Schulter gelöst, fliegt zur Bude mit den vielen Naschereien, schnappt sich zwei Schokobananen und fliegt auf Erwins Schulter. Dieser streicht Anton über seinen Kopf und sagt ärgerlich „Du bist unverschämt, Anton, und ein Schlitzohr.“
Anton wackelt mit seinem Vogelkopf hin und her, legt den Kopf schräg und brabbelt: „Selber, selber. Du bist frech.“ Erwin bezahlt die zwei Schokobananen und streift mit Anneliese an den Schaubuden vorbei, einer Bude mit Bäckereien, Plätzchen.
Und wieder hat sich Anton unbemerkt davongemacht, das heißt, geräuschlos war er wieder zu der Bude mit den Bäckereien geflogen, hatte zwei bestreute Plätzchen ergriffen und kreischt dann noch lauter: „Putz dir die Schuhe ab, leise, du störst.“ Die Verkäuferin dreht sich erschrocken um. Anton sitzt wieder auf der Schulter von Anneliese. Diese gibt ihm einen Klaps und meint: „Mit dir gibt es heute nur Ärger. Musst du dauernd fressen?“ Anton hat die Kekse längst verspeist und brabbelt: „Sei nicht frech, du frisst andauernd.“ Er schließt seine Augen, aber er schläft nicht.
Erwin und Anneliese unterhalten sich leise, während sie den Jahrmarkt verlassen, über Anton. „Er ist sonst immer brav und verhält sich ruhig“, sagt Anneliese. „Aber heute benimmt er sich wie ein Schlingel, ist vorlaut und frech“, meint Erwin. „das liegt wohl an uns, weil wir ihm viel durchgehen lassen“, setzt er das Gespräch fort. „Du kannst Recht haben, wir verwöhnen Anton zu sehr.“ Dieser schlägt seine Augen wieder auf. Sie biegen gerade die nächste Straße rechts ab. Da kreischt Anton etwas Unverständliches und dann aber laut und deutlich: „Ihr Schlingel und schwätzt so viel. Schließt die Türe, aber leise. Du bist lautmaulig, Erw....“.
Verwundert sehen sich Erwin und Anneliese an, sie können sich nicht erinnern, solche Sätze vor dem Papagei verwendet zu haben, aber was soll`s. Wahrscheinlich entspricht die Umgangssprache von Erwin und Anneliese eben des Öfteren dem, was Anton unzusammenhängend herausgesprudelt hat. Etwas verlegen lenken die beiden Kinder ihre Schritte zu ihrer Haustüre.

Thilo schreibt außer den hier aufgeführten Geschichten gerne Kurzkrimis, Weihnachtsgeschichten, Gedichte und Essays. Zudem ist er Hobbypianist. Seine Lieblingsautoren sind: Dostojewsky und Gustav Freytag