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31. Januar 2008

Drei Euro Zerrgeld

Ein Jäger bricht auf in den Wald – trägt den Lauf der Zeit auf dem Rücken des Gewehres; begibt sich steppenähnlich auf Wanderschaft; versucht kein Ziel zu haben und doch kommt er dem Ziel wunschlos wie traumdeutend näher. Keine Zahl zerrt an seinem Gefieder – verliert sich in dem Schritt seiner Gedanken, wenn die Muse kommt wird sie bleiben;
Ein Pferd wiehert im Stall eines nahen Bauerngehöftes – wo es bei Wasser und Brot schon manchen Schlitten mit Brennholz gezogen – als Reitpferd schon ausgedient oder: nun auf Gnade und Ungnade gehalten, gefüttert, um nicht mehr richtig strotzend die Lefzen hochzuziehen. Unser Jäger sucht das Zerrgeld, das er sicher niemals finden wird… Es versteht sich von selbst, dass er heute nicht im Wald bleiben will, vom Schlaf übermannt gähnt er sich der Stille davon; kommt der Zeit wieder stolpernd in die Queremacht sich klein, denn hier ist’s enterisch bisweilen und kalt. Befangen macht der Winter die Bäume; sie sind kahl geworden – dünnästig, blattlos: Laub wirbelt dem Jäger ins Gesicht, sein Hut hält was er verspricht, bleibt am Kopfe; tief in die Stirn gezogen. Bald ist die Sonne untergegangen. Es knirscht und knackt laubästig unter seinen Tritten. Feste Stiefel, dicke Socken auf den Füßen, fast keuchend, verlässt er das Unterholz und begibt sich auf die Gefilde, wo noch das Licht einer Lichtung gleist.. Jetzt steht er da, herausgetreten vom Element Natur, schwitzt beinahe, zieht seine Wasserflasche aus dem Rucksack, die gemischt mit gutem Wein, setzt sie an seine Lippen, leert in sich hinein, trinkt und keucht zugleich, dürstet sich die trockene Kehle naß. Und nun, ja, auf zum fröhlichen Jagen, nein, nicht mehr heute, es ist genug. Unser Jäger will den Platz finden zum Ruhen – schlafen, ausschlafen, sich hinlegen, ausstrecken. Ein paar Schritte sind es noch zu seiner Hütte, die tief von Tannen, Fichten föhrenwärts verdeckt; Blockhütte klein, fünf mal fünf im Quadrat. Ein Schlüssel sperrt das Schloß, der Abend dämmert schon; ‘mein Magen knurrt’, denkt Albert, unser Jäger. Dieser betritt das Waldhäuschen – schließt die Tür; stellt den Rucksack rechts daneben. Setzt sich auf die Ofenbank – es gibt sogar elektrisches Licht – zieht seine Jacke aus, er befreit Füße von den Stiefeln; der Kater nähert sich auf leisen Pfoten, gestreichelt wird sein Fell. Albert stelzt zum Waschbecken, wäscht sein Gesicht und alles, was gewaschen werden muß. Trocknet sich ab, das Katerchen weicht nicht von seiner Seite. Schon zieht er sein Nachtgewand über. Geht ins hinterste Eck der Stube – holt sich den Speck, das Bauernbrot, den Käse, das Messer, das hölzerne Brett, die Flasche Wein, bringt alles herüber zum Tisch – legt’s drauf und schneidet das Brot; den Speck in dünne Scheiben, füllt das Glas mit Wein – Albert trinkt in großen Zügen und isst genüsslich ein Speckbrot und noch eins. Es schmeckt ihm. Ein guter Trunk des Jägers Pflicht und leert das zweite Glas.
Zu seiner Rechten liegt eine Jägerfachzeitschrift. Albert blättert darin – will sie wieder weglegen; auf einmal springt ihm ein interessanter Artikel ins Auge – zwar kurz, aber doch lesenswert.
In einer Kleinstadt am Bodensee in Reichenau war’s öde und still geworden. Die Insassen des Klosters waren fortgezogen aus Furcht vor Bären und wilden Häschern. Nur ein Klosterbruder, ein Sonderling, namens Konrad war zurück geblieben.- Am nahen Seeufer hielt ein Trupp Reiter, den Pfeil im Bogen gespannt. Sie waren hervorgesprengt; als kein Hinterhalt aus dem Dickicht des Buschwerkes am Ufer zu befürchten war, hielten sie die Rosse ein Weilchen zum Verschnaufen an, der Pfeil war in den Köcher gelegt. Den krummen Säbel mit den Zähnen gefasst – so ging´s in den See. Hurtig arbeiteten sich die Pferde durch die blauen Wogen. Jetzt war der Vorderste am Lande, sprang vom Gaul und schüttelte sich dreimal wie ein Deutscher Schäferhund, der vom kühlen Bad zurückkommt; mit schauderndem Hurraruf zogen sie in der öden Reichenau ein.
Wie ein Steinbildnis saß Konrad und schaute verzagt den Gestalten entgegen. Was jetzt auf ihn zukam war so hässlich, dass er ein Erbarme dich unser, oh gütiger Herr! nicht unterdrücken konnte.- Im Sattel saßen die fremden Gäste, in Tierfelle gehüllt; dürr, klein und hager, das Haar struppig herabhängend, das Gesicht glänzte gelb wie in Talg gesalbt mit tiefliegenden Augen.
Jetzt durchzogen sie hordenweise das Land. Ein wildes Klingen wie Zimbalschlag und Geigenton zog mit ihnen und klang schrill und sauer wie Essig. Wie ein Waldbach nach vier Tagen Regen wälzte sich jetzt der Hunnenzug in den Klosterhof. Dem guten Konrad wurde es nun doch etwas mulmig zumute. Die Hunnen sattelten ab. Jetzt gab Kalle, der Anführer, das Zeichen, dass die Plünderung beginnen solle.
Wild und ungestüm stürmten sie durcheinander die Gänge entlang, die Stufen hinauf, in die Kirche hinein. Verworrenes Geschrei erscholl. „Zeig’ uns die Schatzkammer!“ forderten sie Konrad auf. Dieser tat’s gern, denn nur versilberte Leuchter und alte Stumpen von Kerzen waren noch vorhanden. „Schlechtes Kloster“, rief einer, „Bettelvolk!“ und trat mit dem Fuß nach den verstaubten Sesseln.. Den Konrad belohnten sie mit Faustschlägen, dass er ganz verzagt davonschlich.
Man ließ aus dem Vorkeller die Weinfässer hinaufschleppen. Besorgt trat der Bruder vor und tippte einen der Plünderer am Gewand und sagte: „Was soll ich dann trinken, wenn ihr abgezogen seid?“ Ein allgemeines Gelächter erklang und sie gaben dem Sonderling das kleinste Faß. Drüben im Hof erhob sich wilder Lärm, etliche hatten die Kirche durchstöbert, einige eine Grabplatte aufgehoben. Da sah ein verwitterter Schädel aus dunkler Kutte zu ihnen empor, so dass sogar diese Verwegenen zurückschreckten.
Dann versammelten sich alle im Hof. Den ganzen Heuvorrat des Klosters hatten die Hunnen umhergestreut und lagerten darauf, das Mahl begann. Mit gekreuzten Armen stand Konrad und schaute zu ihnen nieder. Die Teufelsbrut kann nicht einmal sitzen wie einem Menschen geziemt, wenn er sein tägliches Brot verzehrt, so dachte er, doch er sprach es nicht aus. Häufig Schläge lehrt Schweigsamkeit.
Ein Ochse wurde am Spieß gebraten. Was sonst der Klosterküche Vorrat bot wurde gereicht; sie fielen hungrig darüber her. Mit kurzem Säbel wurde das Fleisch heruntergehauen. Mit Händen fraßen sie gierig und gaben verschiedene ekelerregende Laute von sich. Das Weinfaß stand aufrecht im Hof – ein jeder schöpfte daraus soviel ihm beliebte. Auch dem Konrad brachten sie Wein in einem kunstgeformten Kelch; wie er aber still und froh daran nippte flog ihm ein halb abgenagter Knochen an den Kopf – er schaute schmerzlich auf. Bemerkte aber, sich mit Knochen bewerfen war hunnischer Brauch.
Weinwarm begannen sie darauf zu grölen; wie Eulenschrei und Unkenruf klang der Chor. Dem Konrad nötigten sie auch einen Gesang ab. Das Gejohle ging zu Ende, der Wein war verbraucht, da gebot Kalle die Toten zu verbrennen, welche vor Stunden vom Kirchturm gefallen und sich das Genick gebrochen hatten. In Sekundenschnelle saßen alle auf den Rössern, in Reih’ und Glied ritten sie zum Scheiterhaufen…. Von zweien der Ältesten der Hunnen wurden der Toten Pferde erstochen und zu ihrer Herren Leichen gelegt. Einen schauerlichen Weihespruch rief der greise Hunne über die Versammelten, dann schwang er den Feuerbrand und entzündete den Holzstoß – Tannenscheiten, Handschriften und Leichname wetteiferten in prasselndem Aufflammen, eine dicke Rauchwolke stieg hoch empor. Mit Ringkampf, Speerwurf, felsengleiches Steinschleudern, Reiterspiele wurde der Toten gedacht. Nun ging die Sonne langsam zur Neige, die Hunnenschar aber verblieb die Nacht im Kloster und setzten ihr Gelage fort.

Autor: Elfriede Herold