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20. Februar 2008

Es gibt Tage, da wünscht ich, ich wär’ mein Mund

Bis vor ein paar Monaten war das, was ich mein Leben nenne, vollkommen ungeregelt. Mehr zufälligerweise wurde ich wach, in den Zwischenzeiten lebte ich in irrealen Welten, bisweilen in Schwarz-Weiß, meistens jedoch in tiefen Grüntönen. Beim Sprechen bewegte ich die Zehen rhythmisch im Takt der Vokale und sah insgesamt – so wurde mir auch immer wieder zugetragen – nur halbfertig aus. Bis vor ein paar Monaten.

Dann traf ich Charles Bukowski auf Rollschuhen, er fuhr mir direkt vor die Füße und ein wenig weiter, was mich im ersten Moment verärgerte (man ärgert sich leichter, wenn man den Grund nicht kennt), und bevor ich etwas sagen konnte, zog Buk das linke Bein nach, schwang ausholend nach vorne, nahm Schwung und legte sich teilelegant und mit überhöhter Geschwindigkeit auf den feuchten Asphalt in meiner Wohnung. Und ich hatte Schmerzen im Fuß, unterhalb der Rollenabdrücke, die sich binnen Bruchteilen von Momenten in den Farben des tibetischen Regenbogenfisches in der Brunftzeit verfärbten.
Buk rappelte sich auf, laut fluchend, wie ich es erwartete und gab mir das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen, was ich nicht tat. Und als mein Fuß sich entschuldigen wollte, hielt ich ihm die vorlaute Zunge fest, was mir nasse Hände und einen unsicheren Stand einbrachte (man wird im Alter starrsinnig und unbeweglich). Buk schimpfte immer noch lautstark, meine Füße gaben gurgelnde Laute von sich, wenn auch leise, und mir war die Situation insgesamt eher peinlich. Was sollten die Pflanzen denken?
„Wo geht es denn hier nach Andernach?“

Ich zeigte in Richtung meines Badezimmers, um Zeit zu gewinnen. Der alte Mann nahm Schwung und rollte los, unter meinem lebenden Flokati hindurch, hinterließ dabei Rotweinflecken an den Wänden und verschwand mit einem lauten Rülpser in meiner Badewannenillustration.

„Buk, bist du okay?“ Meine Stimme hallte ein wenig nach.
Nachdem mehrere Tage keine Antwort kam, sah ich nach und stellte fest, daß er seine Rollschuhe abgeschnallt und statt dessen eine Schreibmaschine auspackt hatte, ein ältliches Modell mit einem Wappentier im Namen. Um ihn herum lauter DIN 5008-konform niedergeschriebene Shortstories aus maschinenlesbaren Leben auf meinem Tissue-Toilettenpapier mit Fichtennadelduft, und leergetrunkene Shampooflaschen.
Ich machte mir eine Flasche Mundwasser auf und stieß mit ihm an. Fragte, ob ich mir seine Rollschuhe leihen kann, er verneinte dieses, ich ignorierte es und zog sie mir trotzdem an. Rollte hinaus in mein Wohnzimmer, die Treppen hinauf, auf den Balkon und in die Welt hinaus.

Seit diesem Tag vor einigen Monaten habe ich also Bukowskis Rollschuhe am Leib, habe mich mit dem dirty ol’ man durch so ziemlich alle Haarpflegeprodukte getrunken, bevor seine Farbbänder alle und mein Duschvorhang, alle Kosmetiktücher und mein Flokati mit Geschichten aus einem tiefen Drang nach Ruhe bedruckt waren (der Flokati hatte sich etwas gewehrt, weswegen ein paar Typen in seinem Pelz hängen blieben, Buk hat nur die Stirn gerunzelt und Seifenblasen gerülpst).
Erst viel später habe ich gemerkt, daß seine Gedichte sich nicht reimten und vom Versmaß her verbesserungsbedürftig waren. Doch da war er schon weitergereist, Richtung Andernach oder Gütersloh, eine Spur von Apfelduft hinterlassend.

Seitdem habe ich eine Aufgabe, unter dem Pseudonym ‚Wilhelm Busch’ glätte ich seine Metrik, bereinige ein wenig die inhaltliche Grobschlächtigkeit und lerne Zeichnen. Mein Leben hat wieder Gestalt, Form und Ziel, und auch mein Fuß ist gut verheilt. Und Buks Rollschuhe trage ich immer, sie passen einfach so gut.

Autor: Christian Praetorius