Leumond – zum Inhaltsverzeichnis
11. Februar 2008

Zur See, Teil eins

Zur See, Teil eins

Breitbeinig stand er an der Reling und schaute auf die Weite der sagrotanischen See. Normalerweise kannte ihn die Besatzung der „BarKasse” als umgänglichen Mann, immer zu einem Scherz bereit und einem Gläschen Schnappes nicht abgeneigt. Doch jetzt zeigten sich erste Sorgenfalten auf der hohen, wettergegerbten Stirn von Kaptan Üglo. Von seinen Vorfahren, Korsaren des Mittelmeers, hatte er einen dunklen Teint und einen lebhaften Bartwuchs geerbt. Er war gedrungen und kräftig, mit großen Händen, die zulangen konnten, wenn es nötig war. Jetzt gab es nichts zu tun.
Seit Tagen herrschte eine für diese Jahreszeit ungewöhnliche Flaute. Vom wolkenlosen Himmel brannte die Sonne, langsam wurden die Vorräte knapp. Eigentlich sollten sie schon auf der Rückfahrt zu ihrem Heimathafen Rottenham in Lidland sein, die Kühlräume voll beladen. Aber sie hatten seit Wochen keinen einzigen Schwarm gesichtet und dümpelten zweihundert Seemeilen vor der Küste von Livion. Die Mannschaft wurde langsam nervös, erzählte sich immer wieder alte Geschichten von Schiffen, die in diesen Breitengraden verrottet waren, von verhungerten und verdursteten Seeleuten. Zudem waren sie hier nicht sicher, viel hatte man gehört von Fischern, die vom Geilenschöller, einem der berüchtigsten Piraten dieser Gegend, als Sklaven in die Ölgruben von Tommystan verkauft wurden. Nicht, dass sie wehrlos waren, Kaptan Üglo hatte schon am ersten Tag der Windstille Erbsenpistolen und Austernmesser ausgegeben, aber würde das reichen gegen eine Horde gnadenloser Freibeuter?
So verging der Morgen mit Sorgen, als die helle Stimme des Jungmaats Izeman aus dem Krähennest ertönte: „Merkwürdiges Phänomen backbord voraus”! Aller Augen richteten sich auf die Stelle, die der ausgestreckte Arm des Jungen wies und allmählich konnten die Matrosen etwas sehen. Ein etwa dreihundert Meter langer und ebenso breiter Teppich einer schwarzen Masse, die auf sie zu trieb. Über der Erscheinung flimmerte die erhitzte Luft, etwas Unheimliches ging von diesem Anblick aus. Eine leichte Brise kam auf, die den Geruch von vergammeltem Fisch herantrug. Bald schon war das von seinem Schleppanker an der Stelle gehaltene Schiff umgeben von Millionen aufgetauter, erbärmlich stinkender Fischstäbchen. Ein Anblick, der selbst Hartgesottenen Seebären die Tränen in die Augen trieb. Wie hatte es dazu kommen können? Stimmten die Gerüchte also doch, dass der gemeine Kapitän Nofrost die Meere befuhr, um alles zu enteisen? In den Spelunken Rottenhams hatten sie Gerüchte gehört, dass die mit Auftaukanonen bestückte „Alte Fregatte” in dieser Gegend unterwegs sei, um die perfiden Pläne des bösartigen Alten in die Tat umzusetzen, sämtliche Tiefkühlbestände der Ozeane zu vernichten. Jeder wusste, dass Nofrost Hauptanteilseigner der Kette Saurol war, die sich auf Sauermöpse spezialisiert hatte und dass deren Umsatz in den Keller ging, seit alle Kinder nur Fischstäbchen wollten und keine in Essig eingelegten Labberringe.
Um die Moral zu heben und den pestilenzischen Gestank erträglicher zu machen, ließ Kaptan Üglo Kautabak und reichlich Rum ausgeben. Bald schon war die Mannschaft hackeblau und begann, aus vollen Kehlen ein altes, rührseliges Shanty zu singen: „Ein Stäbchen liegt am Meeresstrand, wo es im Öl sein Ende fand. Warm ist es und es schmeckt fade, schwarz und fettig glänzt Pannade. Ade, ohe, ohjemine”.
Die Brise hatte sich inzwischen zu einem ansehnlichen Wind entwickelt, so dass der Kaptan die Mannschaft in die Wanten wanken hieß, um diesem Ort der Fäulnis zu entkommen. Die „BarKasse” nahm Fahrt auf und segelte ihrem weiteren Schicksal entgegen.

Fortsetzung folgt

Autor: ruelfig