Leumond
Dezember 2007

Weihnachtserwachen


Hannelore Halper



Und wieder einmal war Weihnachten. In der Nacht zum Heiligen Abend begann es am Dachboden zu rumoren.
Das Schaukelpferd wieherte: "Hallo, könnt' ihr mich hören? Wer erinnert sich noch an Weihnachten vor dreißig Jahren?"
"Ja, ja!" schallte es vielfach zurück. Die Puppe Susi, die ganz verstaubt war und der ein Bein fehlte, begann in Erinnerungen zu schwelgen. "Wie war das doch schön, als ich unter dem Christbaum saß mit meinem rosa Kleidchen und den Schleifchen im Haar! Stefanie nahm mich ganz entzückt in die Arme und liebkoste mich. Sie nahm mich mit in ihr Bettchen und bei jedem Spaziergang führte sie mich stolz im Puppenwagen aus. Ich war ihr liebstes Spielzeug und sie war eine liebevolle Puppenmama."
"Und ich erst! Wie willkommen war ich!" ereiferte sich das Schaukelpferd. "Heinzi setzte sich gleich auf meinen Rücken und schaukelte, dass mir schwindlig wurde. Er jauchzte vor Freude und konnte nicht genug davon bekommen. Immer wilder begann er zu schaukeln. Heinzi hatte lange Freude an mir. Erst als meine Beine schwach und wackelig wurden und meine Mähne auszufallen begann, wurde ich auf den Dachboden geschickt."
Im Hintergrund wurde leises Schluchzen und Brummen vernommen. Es war der Teddy-Bär, der einst dem kleinen Karli gehörte. Er seufzte: "Ich war Karli's liebstes Spielzeug. Er nahm mich in den Kindergarten mit und zeigte mich allen seinen Freunden. Er führte ihnen vor, wie tief und lang ich brummen konnte und alle staunten. Seine Oma strickte für mich sogar ein Mützchen, damit mir im Winter die Kälte nicht so zusetzen konnte. Karli trug mich so oft es ging auf seinem Arm spazieren. Mit den Jahren begannen sich meine Nähte aufzutrennen und ein Auge habe ich auch verloren, dann wurde ich hierher verbannt. Aber schön war es doch", schloss traurig der Teddy-Bär.
"Piep, piep! Auch mich fand man unter dem Christbaum", quiekte das kleine Holzentlein, das an einer Schnur nachgezogen werden konnte. "Heidi lief ganz schnell mit mir, denn desto schneller sie lief, desto öfter hörte sie mein Piepsen. Ich freute mich, wenn ich manchmal mit zum Einkaufen genommen wurde. Die Randsteine waren oft ein Hindernis und ich fiel hin, aber Heidi stellte mich ganz sanft wieder auf die Räder und wir spazierten weiter. Jetzt ist mein Lack ab und ich kann meinen Kopf nicht mehr bewegen", beendete das Entlein seinen Vortrag.

"Raunzt doch nicht!" ätzte das Krokodil, das noch vom Kasperltheater übrig geblieben war. "Ich bin das Einzige, das überlebt hat, der Kasperl und die anderen sind längst auf dem Müll gelandet oder verbrannt."
"Nix da! Ich bin es, der Kasperl! Tritra-tralala! Mich kann keiner umbringen. Ich nimm das alles nicht so schwer", meldete sich überraschend der vermeintlich verloren geglaubte Kasperl. "Seid doch froh, dass wir noch beisammen sein können und dass wir einst so schöne Zeiten erleben durften. Vielleicht schaut ja der Eine oder Andere einmal auf den Dachboden, entdeckt uns und holt uns hier wieder raus. Da Nostalgie wieder gefragt ist, ist es leicht möglich, dass wir die nächsten oder übernächsten Weihnachten gereinigt und aufgefrischt wieder Kinderherzen erfreuen dürfen", schloss hoffnungsvoll der Kasperl.
Dann kehrte wieder Ruhe ein am Dachboden. Und im nächsten Jahr? Wer weiß?
Vielleicht hat der Kasperl doch Recht!

Hannelore Halper ist Kulturredakteurin der e-Zeitung "Die Virtuelle" und Werbemanagerin.
Im Bereich Literatur schätzt sie vor allem Klassiker und Werke der Romantik.