Leumond
Oktober 2007

Spaziergang zum Leuchtturm


Hannelore Halper



Frühlingshauch breitet sich über die nickenden Gräser. Die Tauperlen glänzten im Sonnenlicht als tanzten Tausende funkelnde Sternchen über die Landschaft. An den schroffen Felsen spalten sich die Meereskronen und ein heimliches Raunen erfüllte die Atmosphäre. Im lauen Wind flatterte der Schleier der Braut, die am Arm des Vaters schritt und deren Schönheit bei den Gästen Bewunderung hervorrief. Tränenden Herzens gedachten sie der geliebten Mutter, die viel zu früh von ihnen geschieden war.
In der Ferne konnte man den sonnenumfluteten Leuchtturm erspähen und Olaf erinnerte sich mit Wehmut an den Tag, an dem ihm sein Vater mit all seiner Härte die Illusion und Vorfreude raubte, den Wärter des Leuchtturms einen Besuch abstatten zu dürfen. Diese Hartherzigkeit konnte seine Seele nie verkraften und lähmte die Liebe zu dem alten Mann.
Der Frühling ging in den Sommer über. Die Sonne schien kräftiger, die Strahlen sammelten Wasser, die Wolken ballten sich zusammen und wie ein heulendes Ungeheuer zog ein Gewitter auf. Die Wellen wurden zur riesigen Gischt und zerbrachen in meterhohem Schwall an den Felsen. Weltuntergangsstimmung machte sich auch in den Seelen breit.
In jener Nacht starb die schöne junge Frau an den Folgen der Niederkunft. Zwischen Donnerschlägen und gleißenden Blitzen stiegen zwei Seelen in den Himmel auf. Das Gewitter ebbte ab und alles war still. Nur der Herzschlag der Zeit war zu hören.
Murmelnde Bächlein, summende Bienen ließen alle in einem Gefühl der Sicherheit wiegen und ewiger Frieden schien einzukehren.
Die Menschen schlenderten den Strand entlang. Der feine Sand legte sich in die Falten der Kleider. Der Wind säuselte ein Lied von Abschied und von Wiederkehr. Die Rosen dufteten blütenschwer. Ein Schiff glitt auf der glatten Meeresfläche geheimnisvoll dahin. Die Natur war friedlich so als wäre nichts geschehen. Die Nacht sank herab mit ihrem blassen Mondenschimmer und tauchte die Landschaft in silberne Schatten.
Mit fröhlichem Vogelgezwitscher erwachte der Morgen. Die Traurigkeit in den Seelen schien zu weichen und innerer Trost war eingekehrt.
"Heute fahren wir zum Leuchtturm!" verkündete der Vater. Doch niemand hatte eigentlich Lust dazu......

Hannelore Halper ist Kulturredakteurin der e-Zeitung "Die Virtuelle" und Werbemanagerin.
Im Bereich Literatur schätzt sie vor allem Klassiker und Werke der Romantik.