Leumond
September 2007

Die Nächte der Sylvia E.


Elfriede Herold



Durch die Vorhalle des noblen Hotels stöckelt Blondinchen grazil und setzt sich in der Bar ganz vorne auf einen Hocker. Sie spürt die Blicke der Männer auf sich gerichtet. Beinahe naiv – schüchtern zupft sie an ihrem naturgewellten aufgehellten aschblonden Haar. Kein Stolz ist zu sehen. Ihr deux piece aus Bw mit Seide könnte von Adlmüller selbst gefertigt sein. So tadellos sitzt das Oberteil und lässt die prallen Brüste erahnen.
Der Rock ist ein wenig hinaufgerutscht und gibt Beine frei, die in feinmaschigen, eleganten dunklen Netzstrümpfen stecken.
Ihre Arme sind bloß, etwas sonnengebräunt, und fordern sie zum Streicheln auf. Die stahlgrauen Augen mit den langen schwarz geschwungenen Wimpern stellen dem Betrachter ein anziehendes Vorstadtmädel in den Raum. Ihr Blick allerdings ist eisig und berechnend; scheinbar gelangweilt sieht auf den Zapfhahn des Bieres.
Seit drei Jahren sind für Sylvia die Nächte nicht nur zum Schlafen eingerichtet. Echtes Mitleid über sich selbst oder auch einen Anflug von Gefühlen zu zeigen kann und will sie sich nicht leisten......
Am Tage unkündbare Beamtin in einer renommierten Firma für Designermöbel; in der Nacht Prostituierte.
Niemand darf wissen, dass die fleißige Bürokratin nebenbei käufliche Liebe macht – es wäre nicht nur ihre Existenz dahin, sondern, da ist sie sicher, auch die ihrer Eltern und Geschwister, die in einem kleinen steirischen Dorf leben. In den letzten Monaten hat Sylvia intelligente Maßnahmen der Tarnung erfunden; ihre Körpersprache ist unauffällig, die Arme verschränkt sie scheinbar teilnahmslos. Dreieinhalb Stunden sitzt sie bei unserem Interview so da. Selbst wenn sie die widerlichsten Kunden schildert, wird ihr in Zaum gehaltenen Chefsekretärinnen
Ton nicht lauter, sondern leiser.
Daß dieser 32jährigen, die aussieht wie eine Diplomkrankenschwester, etwa unüberlegte Worte wie „Scheiße“ auskommen könnte, ist nicht vorzustellen.. Tatsächlich sagt sie „Körperkontakt“ statt „Schnakseln“, sehr nobel ausgedrückt.................
Was denken sich die Herren Geldmänner, Diplomingenieure von großen Baufirmen oder Direktoren und Spitzenmanager, die sich eine junge Dame mieten wie andere einen Leihwagen, wenn statt eines erwarteten kichernden Mädchens „Beate“- so Sylvias Deckname – daherstolziert kommt und ihr ......Lächeln aufsetzt? Sylvia weiß es nicht.
Bei ihrem Nebenjob ( in der Nacht ) ist ihr das Lachen vergangen, warum? Es wird offensichtlich, sobald sie ihr Leben in einem stundenlangen Monolog – manchmal angewidert erzählt.

Schreibe Kurzprosa, Lyrik, Schmunzelgeschichten, Fabeln, Märchen, Kurzkrimis, experimentelle Prosa. Meine Lieblingautoren: Marie von Ebner-Eschenbach, Josef Freiherr von Eichendorff, Nikolaus Lenau. In der Musik gehören zu meinen bevorzugten Komponisten: Emmerich Kalman, Giuseppe Verdi, Ludwig van Beethoven, W.A. Mozart.